Full text: Gedichte für Untertertia (Teil 2, [Schülerband])

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Gottfried Kinkel, Petrus. 
morgen wird das Wort erfüllet, das der Herr prophetisch sprach: 
„Fremde Hand wird einst dich gürten, Simon, folge dann mir 
nach!" 
3. Da — welch leis, vorsichtig Klopsen? Durch die Riegel ächzt 
die Feile, 
und die alte Pforte weichet vor dem eingeklemmten Veile — 
wird's zu lange dem Tyrannen? Sendet er die Schlächter schon? 
Nein, es spricht ein kühnes Wagstück seinem tollen Wüten Hohn. 
4. Freunde sind's. Die Christen lagen im Gebet an heil'ger Stätte, 
das; den alten, treuen Diener noch einmal der Herr errette. 
Doch umsonst Gebet und Zähre! Diesmal, ach! kein Engel 
naht — 
da beschließen drei der kühnsten frisch auf eigne Hand die Tat. 
5. Stark wohl sind die Römerkrieger, Wache hallend vor den Türen, 
stärker doch der Wein von Chios, den die dreie mit sich führen; 
mächtig sind des Kerkers Riegel, doch dem Eifer allzu schwach — 
schau', mit stolzverklärten Blicken stehn die drei schon im Gemach. 
6. „Rettung, Rettung, alter Vater! Stärker als der Tod ist Treue, 
unsrer Lieb' und Christi Kirche ist dein Haupt geschenkt aufs neue! 
Hier nur droht der Tod dir; auf denn, gürte deine Lenden, flieh! 
Schiffe, stets bereit zur Abfahrt, trifft du in Puteoli." 
7. Alter Jünger, kannst du wanken — den der Herr den Felsen 
nannte, 
der soeben in der Sehnsucht heil'gen Liebesflammen brannte? 
Ja, er gibt sich hin den Freunden, überrascht und halb im Traum, 
frei schon auf dem Forum steht er, und er selber glaubt es kaum. 
8. Eilends zu der Pforte lenken nun die vier die leisen Schritte — 
unterm Tore kurzer Abschied — Vruderkuß nach Christensitte — 
jene kehren zu den Ihren, Frohes kündend, schnell im Lauf; 
diesen nimmt die Nacht beschirmend in den weiten Mantel auf. 
9. Auf der Gräberstraße zieht er; wegeweisend stehn die Sterne; 
Neros goldnes Haus verdämmert schon in nächtlich blauer Ferne — 
aber hat die tiefe Mittnacht solcher leisen Wandrer mehr? 
Ihm entgegen kommt ein andrer auf dem schmalen Weg daher. 
10. Und es graust dem Alten — seitwärts biegt er aus mit schwankem 
Fuße; 
schnell vorüber an dem Fremden schmiegt er sich mit flücht'gem 
Gruße — 
grüßend schaut ihm der ins Antlitz, daß der Sternglanz auf ihn 
fällt —
	        
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