Friedrich Schiller, Die Bürgschaft.
65
„O, hast du mich gnädig aus Räubers Hand,
aus dem Strom mich gerettet ans heilige Land,
und soll hier verschmachtend verderben,
und der Freund mir, der liebende, sterben!"
^ 13. Und horch! da sprudelt es silberhell
ganz nahe wie rieselndes Rauschen,
und stille hält er zu lauschen;
und sieh, aus dem Felsen geschwätzig schnell
springt murmelnd hervor ein lebendiger Quell;
und freudig bückt er sich nieder
und erfrischet die brennenden Glieder.
14. Und die Sonne blickt durch der Zweige Grün
und malt auf den glänzenden Matten
der Bäume gigantische Schatten.
Und zwei Wandrer sieht er die Straße ziehn,
will eilenden Laufes vorüberfliehn,
da hört er die Worte sie sagen:
„Jetzt wird er ans Kreuz geschlagen."
15. Und die Angst beflügelt den eilenden Fuß,
ihn jagen der Sorge Qualen;
da schimmern in Abendrots Strahlen
von ferne die Zinnen von Syrakus,
und entgegen kommt ihm Philostratus,
des Hauses redlicher Hüter,
der erkennt entsetzt den Gebieter.
16. „Zurück! Du rettest den Freund nicht mehr,
so rette das eigene Leben!
Den Tod erleidet er eben.
Von Stunde zu Stunde gewartet' er
mit hoffender Seele der Wiederkehr,
ihm konnte den mutigen Glauben
der Hohn des Tyrannen nicht rauben." — ^
17. „Und ist es zu spät, und kann ich ihm nicht
ein Retter willkommen erscheinen,
so soll mich der Tod ihm vereinen!
Des rühme der blutge Tyrann sich nicht,
daß der Freund dem Freunde gebrochen die Pflicht;
er schlachte der Opfer zweie
und glaube an Liebe und Treue!"
18. Und die Sonne geht unter, da steht er am Tor
und sieht das Kreuz schon erhöhet,
Lorenz, Raydt, Rößger: Deutsches Lesebuch II.
5