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11. Am andern Tag, so ließ Ricciotti melden.
Fand man die Fahne fest in starrer Hand,
Zerfetzt, zerschossen, halb verbrannt
Und unter Haufen toter Helden. —
Wenn wir nun ohne Fahne wiederkommen,
Ihr Brüder allesamt, gebt uns Pardon!
Verloren haben wir sie schon.
Doch keinem Lebenden ward sie genommen. Julius Wolff.
75. Geflügelte Kriesboten.
1. Schon dem Erzvater Noah war die Taube eine glück¬
verheißende Botin. Griechen und Römer haben sie vielfach zum
Nachrichtendienste benutzt. Nach dem Verfall des römischen Reichs
geriet in den dereinst zu ihm gehörigen Ländern die Brieftauben-
5 post in Vergessenheit; dagegen fand sie eine Pflegestätte im Morgen-
land, wo die Kreuzfahrer Tauben als Briefboten antrafen. Es
wurde hier eigens zu diesem Zweck eine kräftige, schnellfliegende
Taubenart gezüchtet, die im sechzehnten Jahrhundert auch nach
Europa gebracht wurde. Lange Zeit wurden hier die Brieftauben
10 meistens nur zu persönlichen Zwecken benützt: als Kurstauben
brachten sie schnelle Nachrichten über den Stand der Börsenkurse,
den Zeitungen dienten sie als rasche Übermittler wichtiger Ereig¬
nisse. Ihre Bedeutung sank aber nach Erfindung des Telegraphen
mehr und mehr bis zum Jahre 1870, wo sie auf einmal bei der
15 Belagerung von Paris als Vermittler zwischen der eingeschlossenen
Stadt und dem Lande eine höchst wichtige Rolle spielten. Jetzt
wurde ihre Bedeutung, gerade für Kriegszwecke, erkannt, und nun
hob sich die Zucht der Brieftauben in allen Ländern, die Vereine
der Brieftaubenbesitzer vermehrten und vergrößerten sich von Jahr
20 zu Jahr, und vor wenigen Jahren richteten die größeren Staaten
Militärbrieftaubenstationen ein, auf denen die Tiere gezüchtet und
ausgebildet werden. Das Deutsche Reich gibt jährlich für diesen
Zweck 50000 Mark aus.
2. Die jungen, ungefähr vier Monate alten Tauben werden
25 auf bestimmte Linien abgerichtet; sie legen bei jedem folgenden Fluge
größere Entfernungen zurück, so daß sie nach zwei bis drei Jahren