viel Anschaulichkeit wie naiver Lebensfreude wieder, während der Hinfahrt
aber auf Main und Rhein ist es nur Rechnungsbuch und zählt eintönig
Ausgaben und Zollstätten auf. Ein Dürer, dem wir fo charakteristische
landschaftliche Umrahmungen verdanken, hätte hier sicher mit seiner Be¬
wunderung nicht zurückgehalten —, wenn er eben solche empfunden hätte.
Noch lange blieb diese Anschauung herrschend, denn für das Auge
der Menschen, die das trostlose Erbe des dreißigjährigen Krieges antraten,
konnte es nichts Lieblicheres geben, als wohlgepflegte Kulturlandschaften.
So zeigen auch die in dekorativem Stile der Zeit beliebten Rheinbilder
vom Ende des 17. Jahrhunderts ein Phantafiegemälde. Nicht ein Bild
der Wirklichkeit geben sie, sondern ein idyllisches Flußtal von sanften
Uferformen, bei dem das Hauptgewicht auf die reich belebte Staffage
gelegt ist — das Schweigen der Wildnis empfand jene Zeit noch mit
Grauen.- Eine touristische Wiirdigung der Rheinufer, wie sie in Wirklich¬
keit waren, lag damals noch ganz außerhalb des Vorstellungskreifes der
Gebildeten.
Der spätere Professor zu Frankfurt a. O. Stosch befuhr nach beendeter
Studienzeit 1741 auf einer größeren Reise auch den Rhein. Aber was
weiß er davon zu berichten? Bon Boppard bis Köln werden nur die
kurfürstlichen Schlösser zu Ehrenbreitenstein und Bonn erwähnt, in Köln
aber gewissenhaft die „remarkablesten" Dinge unter Führung eines Lohn¬
dieners beaugenscheinigt, z. B. das- Haus mit den Pferdeköpfen zur Er¬
innerung an die Rückkehr der scheintoten Frau. Diese Richtung auf
Kuriositäten, die schon bei den antiken Touristen hervortritt, blieb noch
lange vorherrschend; eine vereinzelte Vorahnung künftiger ästhetischer Auf¬
fassung ist es, was Goethe über seine 1773 von Ehrenbreitenstein nach
Mainz unternommene Rheinfahrt zu sagen weiß: „So genossen wir mit
Muße der unendlich mannigfaltigen Gegenstände, die bei dem herrlichsten
Wetter jede Stunde an Schönheit zuzunehmen und sowohl an Größe
wie an Gefälligkeit immer neu zu wechseln scheinen; und ich wünsche nur,
indem ich die Namen Rheinfels und St. Goar, Bacharach, Bingen, Elfeld,
Biebrich ausspreche, daß jeder meiner Leser imstande sei, sich diese Gegenden
in der Erinnerung hervorzurufen."
Es war damals die Zeit, wo die wirklichen und fingierten Reise¬
briefe Mode wurden als bequemer Ausgangspunkt für mehr oder minder
geistreiche Reflektionen. Das Naturempfinden erging sich meist in unklarer
Gefühlsfchwelgerei. Wie man damals die Gebirge um ihrer selbst willen
aufsuchen lernte, fo auch den Rhein, auf dem bereits die Schnelligkeit
und gute Einrichtung der Segelschiffe als seltener Vorzug gerühmt wird.
1791 begnügte sich der Graf Friedrich Stolberg mit der Fahrt von Köln
bis Koblenz, um von da über Ems und Wiesbaden nach Mainz zu gehen,
imb seine Begeisterung gilt noch ganz im hergebrachten Stile der Frucht¬
barkeit der Landschaft und „dem freudigen Volke, wo Knaben, Volkslieder
Porger-Lemp, Lesebuch. Anhang für Hessen-Nassau. Klasse 2. 2