4. Gott lebt noch. 5. Das HafermuS.
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wortete: „Ich habe über Nacht einen bösen Traum gehabt.
Der liebe Gott war gestorben, sie trugen ihn zu Grabe, und
alle heiligen Engel gingen mit zur Leiche.“ Da lachte der
Mann seit langer Zeit zum erstenmale und sprach: „Thörich¬
tes Weib, der stirbt nicht, da mache dir keine Gedanken.“
Und sie antwortete: „Wenn er denn lebt, dann kannst du
auch dein Sorgen und Grämen lassen, dann sorgt er.“ Und
der Mann besann sich. Es kehrte wieder Christenfreudigkeit
in das Haus ein.
5. *Das Hafermus.
1 Rinder, das Hafermus ist fertig; kommet und esset!
Betet: „Aller Augen" — und gebt mir ordentlich Achtung,
Laß am rußigen Topfe keinem das Armelchen schwarz wird.
Esset denn, und fegn' es euch Gott, und wachst und gedeihet!
5 Wohl hat der Vater die Haferkörnchen mit fleißigen Händen
zwischen die Furchen gesät und sie untergeegget im Frühjahr; —
daß sie gewachsen sind und reif geworden, dafür kann
euer Vater nichts, — das thut der Vater im Himmel.
Denket nur, ihr Kinder, es schläft im mehligen Körnlein
10 klein und zart ein Keimchen; nicht regt noch rührt sich das Keimchen;
nein, es schläft und spricht kein Wort und ißt nicht und trinkt nicht,
bis man es in die Furchen legt, in den lockeren Boden.
Aber in den Furchen und in der feuchtigen Wärme
wacht es heimlich auf aus seinem verschwiegenen Schläfchen,
15 regt die zarten Gliedchen und sauget am saftigen Körnchen
wie ein Mutterkind; man wundert sich, daß es nicht weinet.
Unterdes wird's größer und heimlich schöner und stärker
und schlüpft aus den Windeln; es streckt ein Würzelchen von sich
tiefer hinab in den Grund, sich Nahrung suchend und findend.
20 Ja, und der Vorwitz quält's: es möchte gern auch erfahren,
wie's wohl weiter oben sei. Gar heimlich und furchtsam
lugt es aus dem Boden — o Himmel! ja, es gefällt ihm!
Unser lieber Herrgott, der schickt ein Engelein nieder:
„Bring' ihm ein Tröpfchen Tau, und sag' ihm freundliche Grüße!"
25 Und es trinkt, und es schmeckt ihm wohl, und es streckt sich behaglich.
Unterdessen kämmt sich die Sonn', und gekämmt und gewaschen
kommt sie mit dem Strickzeug hervor aus den waldigen Bergen,
wandelt ihren Weg hoch an der himmlischen Landstraß',
strickt und schauet herab, wie eine freundliche Mutter
50 nach dem Kindlein schaut. Sie lächelt dem Keimchen entgegen,
und es thut ihm wohl bis tief hinab in die Wurzel.
„So 'ne stattliche Frau, und doch so gütig und freundlich!"