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3. Deutsche Treue.
(Luther.)
Uns Deutsche hat keine Tugend so hoch gerühnlt und (wie ich glaube) bis¬
her so hoch erhoben und erhalten, als daß man uns für treue, wahrhaftige,
5 beständige Leute gehalten hat, die da haben Ja — ja, Nein — nein lassen sein,
wie des viel Historien und Bücher Zeugen sind. Wir Deutschen haben noch
ein Fünklein (Gott woll's erhalten und anblasen) von derselben alten Tugend,
nämlich daß wir uns doch ein wenig schämen und nicht gern Lügner heißen,
nicht dazu lachen, wie die Welschen und Griechen, oder einen Scherz daraus
10 treiben. Und obwohl die welsche und griechische Unart einreißt (Gott erbarm's!),
so ist dennoch gleichwohl noch das übrig bei uns, daß kein ernster, greulicher
Scheltwort jemand reden oder hören kann, denn so er einen Lügner schilt oder
gescholten wird. Und mich dünkt, daß kein schädlicher Laster auf Erden sei,
denn Lügen und Untreu' beweisen, welches alle Gemeinschaft der Menschen zer-
15 trennt. Denn Lügen und Untreue zertrennt erstlich die Herzen; wenn die Herzen
zertrennt sind, so gehen die Hände auch von einander; wenn die Hände von
einander sind, was kann man da thun oder schaffen? Wenn Kaufleute einan¬
der nicht Glauben halten, so fällt der Markt zu Grunde. Wenn Mann und
Weib einander nicht treu sind, so läuft sie hinten aus, der Mann vorn ans,
20 und geht, wie jener sagt: Wehre, liebe Else, wehre, daß wir reich werden;
zerbrich du Krüge, so zerbreche ich Töpfe. Wenn ein Bürgermeister, Fürst,
König nicht Geleit treulich hält, so muß die Stadt verderben, Land und Leute
untergehen. Darum ist auch im welschen Lande solch schändlich Trennen, Zwie¬
tracht, Unglück. Denn wo Treue und Glaube aufhöret, da muß das Regiment
25 auch ein Ende haben. Christus helfe uns Deutschen!
4. Die Hermannsschlacht.
(Nach Duller und Pierson.)
Die Römer wußten sehr gut, daß die Kraft eines Volkes in seinen Sitten
und Einrichtungen wurzelt; daher versuchten sie nun, nachdem sie durch Waffen-
30 gewalt in Deutschland Fuß gefaßt hatten, die Germanen dadurch dauernd zu
unterjochen, daß sie deren Gebräuche und Verfassung römisch machten. Der
Mann, der diesen Versuch unternahm, war Quintilius Varus. Aber
dieser übermütige und lasterhafte Mann spannte den Bogen zu stark. Dem
einfachen Gemeinwesen der Deutschen suchte er die Einrichtungen des ans-
35 gebildeten römischen Staates aufzudrängen und vor allem den schlichten Leuten
ihr gutes altes Recht zu entwinden. Während sonst die Gauversammlnng die
einfachen Streitigkeiten nach Vernunft und Herkommen schlichtete, saß jetzt der
Römer, mit allen Zeichen der Gewaltherrschaft angethan, zu Gericht, urteilte
nach den römischen Gesetzen, welche der Anschauungsweise der Deutschen ganz
40 fremd waren, und diktierte entehrende, in diesem Lande bisher unerhörte
Strafen. Wie Knechte behandelte er die freien Männer, nahm ihnen ihr Hab
und Gut und beschimpfte sie noch dazu. Tie römische Steuerverfassnng, deren
Zöllner in allen Teilen des Reiches verrufen und verhaßt waren, wurde
jetzt auch in Deutschland eingeführt; wie der Sklave seinem Herrn, sollte der
45 Teutsche den Römern eine Abgabe vom Ertrage seiner Hufe geben.