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führte Hermann sie hinter den Römern her und fiel plötzlich deren Nachhut
an. Noch ahnte Varus nicht den ganzen Umfang der Gefahr und hielt für
Übermut einzelner, was Plan und kluge Vorsicht war. Denn Hermann
wollte die römische Heeresmacht zuerst schwächen und zerbröckeln, um dann
die Trümmer desto sicherer zermalmen zu können. Die Rächer kamen und 5
schwanden wie Schatten der Nacht. Jetzt hier, jetzt dort siel ein Römer im
Engpaß.. Die Toten zu zählen, die im Dunkel des Waldes verröchelten,
vermochte Varus nicht. Da befahl er, geschlossenen Marsch zu halten; doch
war's in der Wildnis unmöglich. Endlich neigte sich der Tag, und Varus
gebot dem Heere, Halt zu machen, sich zu verschanzen, so gut es ginge, und 10
zu verbrennen, was von Gepäck überflüssig sei und im Zug nur hindern könne.
— Am anderen Tage rückte das Heer, immer von den Deutschen um¬
schwärmt, doch in besserer Ordnung, in der Ebene weiter, die sich an der Werre
ausbreitet, und kam in das dichtbewaldete sumpfige Thal, das die Berlebecke
durchrinnt, in die Gegend von Detmold. Da ward auf einmal jeder Busch 15
lebendig, aus jeder Bergschlucht raschelte es wie viele hundert Schlangen
empor, und die uralten Bäume schüttelten, wie sonst nach dem Wetter Regen¬
tropfen, jetzt Pfeile ohne Zahl auf die Römer herab. Der Himmel wollte auch
nicht feiern und half den Deutschen mit Sturm und Regen. Von den Güssen
unterwühlt, sank die deutsche Erde unter des Römers Füßen ein. Schritt für 20
Schritt kämpft der Feind um den Boden, auf dem er steht, um den Weg, um
jeden Baum, um jeden Stein, und kommt nicht eher zu Atem, als bis die Nacht
hereinbricht. Da läßt Varus abermals Lager schlagen, und ermattet sinken
die Römer hin; in jedem Augenblicke scheucht das Kriegsgeheul der Deutschen
sie aus der kurzen Nachtruhe empor. — Als der dritte Tag anbrach, entdeckten 25
sie erst, wie licht es in ihren Reihen geworden. Mann an Mann geschlossen
brechen sie auf und kommen aufs offene Land, das die Senne heißt. Da
sehen sie mit Grausen die ganze Macht aller Eidgenossen vor sich entfaltet.
Ringsum Deutsche, nirgends einen Ausweg! Für alle Tapferkeit ist nichts
mehr feil als der Tod. Jauchzend stürzen jetzt die Eidgenossen in die starren 30
Reihen der verzweifelten Römer. Wie die Saat unter Hagelschloßen, sinken
die Tapfersten unter deutschen Hieben hin. Des Feindes Scharen sind zer¬
sprengt, nur wenige wilde Haufen ragen noch aus dem Meere der Schlacht
empor. Jetzt wird die Flucht allgemein; doch wer sich retten will, rennt wie
blind in die Spieße der Deutschen. Da faßt den Varus Verzweiflung, und 35
um sein Unglück nicht mit Schmach überleben zu müssen, stürzt er sich in sein
Schwert. Nur wenige von dem großen Römerheer entrinnen glücklich nach
der Feste Miso; die meisten liegen auf dem Walplatz.
Wer in die Gefangenschaft kam, ward entweder den Göttern geopfert,
zum Dank für die wiedererrungene Freiheit, oder zu gemeinem Frondienst in 40
die Gauen der Eidgenossen geschleppt. Am grausamsten rächte sich das Volk
an den Sachwaltern und Schreibern, die ihm statt des guten alten Rechtes
das spitzfindige neue aufgedrängt hatten. Einem, den es gefangen, riß es die
Zunge aus und rief: „Jetzt zisch einmal, Natter, wenn du kannst!"
Das war die große Schlacht im Teutoburger Walde, die geschlagen 45
ward am 9., 10. und 11. September des Jahres 9 nach Christi Geburt.
Ganz Rom war voll Entsetzens vor den Teutschen und glaubte mit jedem