Full text: Deutsches Lesebuch mit Bildern für Volksschulen

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98. Die ABC-Schützen. 
(Aus „Des Knaben Wunderhorn".) 
Rate, was ich habe vernommen: 
Es sind achtzehn fremde Gesellen ins Land 
5 gekommen, 
zumalen schön und säuberlich; 
doch keiner einem andern glich. 
All' ohne Fehler und Gebrechen, 
nur konnte keiner ein Wort sprechen; 
10 und damit man sie sollte verstehn, 
hatten sie fünf Dolmetscher mit sich gehn. 
.Das waren hochgelehrte Leut'! 
Der erst' erstaunt, reißt's Maul auf weit, 
der zweite wie ein Kindlein schreit, 
der dritte wie ein Mäuschen pfiff, V 
der vierte wie ein Fuhrmann rief, ' 
der fünft' gar wie ein Uhu thut. 
Das waren ihre Künste gut; 
damit erhoben sie ein Geschrei, 
füllt noch die Welt, ist nicht vorbei. 
99. Nürnberg, eine alte deutsche Stadt. 
(Nach Meyer.) 
Schon in einer Entfernung von mehreren Stunden erblickt man von den 
15 Hügelketten aus in weiter holz- und kornreicher Ebene Nürnberg, die alt¬ 
ehrwürdige Stadt mit ihren Manertürmen und ihrer alles stolz überragenden 
stattlichen Feste. Keine von allen vormaligen Reichsstädten kann an Gro߬ 
artigkeit des Ansehens sich mit ihm messen, und nur von Prag mag es an 
Reiz und Pracht des Altertums übertroffen werden. Und noch immer ist es 
20 eine Lieblingsstadt des deutschen Volkes. Wie das Kind sich selig freut zur 
Weihnachtszeit beim Anblick des Nürnberger Lebkuchens und Spielzeuges, so 
gedenkt auch der Mann noch so mancher herrlichen Erfindung, welche von 
Nürnberg ausging, und freut sich seines ehrenwerten Geistes. 
Von allen Seiten nimmt sich Nürnberg stattlich und edel aus; doppelte 
25 Mauern, Türme und Gräben umschließen es, wie sie es vormals schützten. 
Zehn Thore führen in sein Inneres, dessen Straßen zwar meist unregelmäßig 
und winklig sind, aber überall das Gepräge einer großen Vergangenheit an 
sich tragen. Wer noch keine alte Stadt gesehen hat und die Straßen von 
Nürnberg betritt, dem breitet sich eine neue, recht wunderliche Welt aus. 
30 Nirgends ein Einerlei, nirgends Regimenter von Häusern von gleicher Uniform, 
Höhe und Richtungslinie. Neben den Palästen vormaliger Patrizier stehen des 
Handwerkers kleine Wohnungen; schmale, alte Häuserchen mit vorspringenden 
Giebeln und Erkern lehnen sich nachbarlich an das Prachtgebände des reichen 
Kaufmanns oder Fabrikherrn. Selbst das Unregelmäßige, Winklige der Gassen 
35 fällt nicht unangenehm auf. Wunderlich sehen die hohen, roten Dächer aus, 
über denen sich oftmals ein Türmchen mit altmodischer Wetterfahne erhebt. 
Schön ausgezierte Fenster und Türme, geschnitzte Tragbalken, mannigfach 
gewundene Säulen und Figuren aller Art, alte Erker mit Bildhauerarbeit, 
alles fesselt das Auge des Fremden bei jedem Tritte. Hier prangen Wappen 
40 in Stein und Metall über den Thoren, dort stehen Bildsäulen von Schutz¬ 
heiligen, bald in Nischen zwischen den Fenstern und auf Postamenten, bald an 
den Erkern zwischen den Stockwerken, und zwar sind manche von ihnen Werke 
von den vorzüglichsten Meistern. Dabei giebt sich überall an diesen alten 
Wohnungen der vormaligen Reichsbürger eine gewisse Unregelmäßigkeit kund. 
45 Da sind oft Fenster von dreierlei Größe an ein und demselben Hause, und
	        
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