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ein lebhafter Wind sie auf Stunden hinwegfegte; bei Nacht aber war der Anblick
ein furchtbar großartiger. Meer und Himmel waren von dunkler Glutröte
gefärbt; wie ein feuriger Wasserfall senkte sich der breite Lavastrom über den
steilen Abhang hinab und zerteilte sich tiefer unten in mehrere Arme, die wie
feurige Schlangen verderbenbringend fortzüngelten. Aus dem Hauptkrater
stieg eine schwere, dicke, schwarze Rauchwolke, nur durch einzelne Blitze erhellt,
turmhoch empor, und von Zeit zu Zeit erhellten aus der Lavaflut auflodernde
Feuersäulen Augenblicke lang die nächste Umgebung.
Nun litt es mich nicht länger in Neapel; ich wollte an Ort und Stelle
sehen, was ich aus der Ferne mit Erstaunen betrachtet hatte. An eine Besteigung
des Berges war nicht zu denken; die Straße, die zum Berge führt, war bereits
von der Lava überzogen. So beschloß ich denn, mich an den Fuß des Lava¬
stroms zu begeben und fuhr am 18. mit der Eisenbahn nach Portici. Schon
auf dem Bergabhange begegneten uns die Bewohner der bedrohten Gegend,
Betten, Schubladen, Thüren, Fenster, Fässer, abgehauene Ölbäume auf den
Köpfen tragend. Die Ärmsten suchten vor dem heranrückenden Feuermeer,
wenigstens was von ihren Habseligkeiten beweglich war, zu retten; das Haus,
in dem sie lange Jahre gewohnt, den Weinberg, die Ölpflanzung, den Obst¬
garten, was alles sie mit ihrer Hände Arbeit und eisernem Fleiße sich geschaffen,
mußten sie leider zurücklassen. In einigen Stunden, oft nur Minuten, war es
eine Wüste von Lavablöcken und Felstrümmern, der Schauplatz trostloser
Verheerung, auf dem selbst die Grenzmarken des früheren Besitztums nicht
mehr zu erkennen sind.
Der Schwefel- und Kohlendampf wurde immer lästiger und die Hitze der
Lava schon fühlbar; endlich standen wir plötzlich vor dem langsam heranrückenden
Lavawalle. Die Vorstellung, die man sich von einem Lavastrome macht, trifft
wenig mit der Wirklichkeit zusammen. Die Lavaflut ist nicht eine feurige
fließende Masse, sondern ein 5 bis 9 Meter hoher Steinwall, gebildet teils aus
schwarzen, teils aus duukelrot glühenden Felsenblöcken. Und dieser Wall,
welcher von der am Boden hinkriechenden flüssigen Lava getragen wird, rückt
nun sichtlich, ungefähr bis 1 Meter in der Minute, auf uns zu.
Fortwährend lösen sich einzelne mächtige, glühende Blöcke von dem Gipfel
des Walles ab, stürzen mit Getöse herunter und setzen alles, was in ihrem
Wege steht, augenblicklich in helle Flammen. Zuweilen klafft in dem vordrän¬
genden Felsenwalle plötzlich ein großer Schlund auf, und eine feurige Lavaglut
schießt, wie das flüssige Erz bei einem Glockengüsse, brausend hervor, entzündet,
was sie berührt, und wird, schnell zu Lavablöcken erkaltend, mit der übrigen
Masse vorwärts geschoben. Es ist ein Anblick so gewaltig und überraschend,
so neu und überwältigend, daß man nur sprachlos staunend dastehen, das
Großartige und Wunderbare der Erscheinung aber nicht mit Worten be¬
schreiben kann.
„Kommen Sie," rief mir mein Begleiter zu, „kommen Sie, in drei
Minuten wird das Haus des Pfarrers von der Lava überflutet werden!" Wir
eilten durch den immer dichter werdenden Rauch und die unerträgliche Hitze,
die uns die Haut im Gesicht aufzog, längs der Lavaglut bergaufwärts.
Wir erreichten endlich den großen Weinberg des Pfarrers, in dessen Mitte
das stattliche, auch schon ganz ausgeräumte Pfarrhaus lag. Der alte Pfarrer
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