Sokrates. 47 
seine Lehren die Jugend. Sokrates versuchte es nicht, nach athenischer 
Sitte durch eine Rede seine Richter zum Mitleid zu bewegender wollte 
sich nicht verteidigen, sondern sprach: „Damit habe ich mich mein ganzes 
Leben lang beschäftigt, indem ich mich vor jedem Unrecht bewahrt habe." 
Als ein berühmter Redner ihm eine kunstvoll ausgearbeitete Rede anbot, 
lehnte Sokrates sie mit den Worten ab: „Brächtest du mir weiche, 
prächtige Socken, ich würde sie nicht tragen." Vor seinen Richtern, An- 
klägern und dem Volke sprach er: „Meine ganze Beschäftigung besteht 
darin, euch alle zu überzeugen, daß vor der Sorge für Leib und Güter 
die Sorge für die Seele und ihre Veredelung kommt. Mögt ihr mich 
verurteilen oder loslassen: nie werde ich aufhören, also zu thun, und 
wenn ich tausendmal sterben müßte." Nach diesen freimütigen Worten 
wurde Sokrates für schuldig erklärt. Nach athenischer Sitte durfte er 
aber gegenüber der von dem Gesetze bestimmten Strafe selber einen 
Strasantrag stellen; als ihn die Richter fragten, welche Strafe er sich 
selber bestimmen würde, antwortete er: „Da ich mich dem Wohle des 
Staates gewidmet habe, beantrage ich, auf Staatskosten gespeist zu 
werden. Solches habe ich eher verdient, als ein Sieger zu Olympia: 
denn der macht, daß ihr euch glücklich dünkt, ich aber, daß ihr es seid." 
Dennoch wurde er zum Tode durch den Giftbecher verurteilt. 399 
Sokrates bat seine Freunde, seine Söhne auf den Weg der Tugend G6r'1 
zu lenken, und schloß mit den Worten: „Doch es ist Zeit, daß wir'von 
hinnen gehen, ich, um zu sterben, ihr, um zu leben; wer von uns beiden 
das bessere Teil hat. das weiß nur Gott." Er mußte noch 30 Tage 
im Gefängnis bleiben; denn gerade am Tage seiner Verurteilung ging 
das heilige Schiff ab. auf welchem die athenische Gesandschaft nach Delos 
fuhr, um an einem Feste Apollos teilzunehmen, und vor der Rückkehr 
desselben durfte kein Todesurteil vollzogen werden. Wahrend dieser Zeit 
besuchten ihn seine Freunde im Gefängnis. Einer derselben, Kriton, 
bestach den Gefängniswärter; aber Sokrates verweigerte die Flucht mit 
den Worten: „Gehorsam gegen die vaterländischen Gesetze ist die erste 
Bürgerpflicht!" — „Ach!" seufzte Apollodor, „wenn du doch nicht 
so unschuldig stürbest!" — „Und wolltest du denn lieber, daß ich schuldig 
stürbe?" antwortete Sokrates. Am Tage seines Todes sprach er mit 
seinen Schülern über die Unsterblichkeit der Seele. Seine weinende Frau 
schickte er hinaus, um sich nicht die letzte Stunde zu erschweren. Da 
brachte ein Diener den Giftbecher herein. Sokrates erfuhr von ihm, 
wie er sich zu verhalten habe, und trank dann das tödliche Gift mit 
heiterer Miene aus. Seine Freunde erhoben laute Klagen; doch Sokrates 
sagte: „Still doch, darum habe ich ja die Weiber von mir gelassen'" 
Sein Körper wurde nach und nach gefühllos; als auch der Leib starr 
wurde, sprach der Sterbende zu Kriton: „Freund, opfere dem Äskulap 
einen Hahn; denn ich bin genesen!" Mit diesen Worten verschied er.
	        
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