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einem natürlichen Gewinde niederhängender großer blauer Trauben
prangt. Nun liebt bekanntlich der Bauer in ganz Mittel- und Süd¬
deutschland, so weit es irgend das Klima gestattet, den Rebstock am
Hause; dennoch läßt sich auch hier wieder manches eigentümlich Pfäl¬
zische aufspüren.
Wo in der obern Pfalz der Rebbau aus Kammern (die Reben
werden nicht bloß an Pfählen und Spalieren, sondern weiter über querhin
gelegte Latten, also zu langen Laubengängen gezogen) jeden Weinberg
in eine Gruppe kleiner Laubengänge verwandelt, da breitet auch der
alte, knorrige Weinstock am Hause sein Gezweig zur mächtigen Laube in
den Hof hinein, ja auf starken Balken und Pfählen ruhend, überschattet
die Rebe oft den ganzen Hof. Diese traulichen Lauben dienen gar wohl
der'schönen pfälzischen Sitte, den warmen Sommerabend im Gespräch
mit Nachbarn und Freunden vor dem Hause im Freien zu verbringen.
Allein auch manche Dörfer der angrenzenden Ebene, die schon nicht
mehr von eigentlichen Weinbauern bewohnt sind, setzen noch einen ganz
besonderen Stolz in die Rebstöcke und Lauben an den Häusern. Der
Sinn des Volkes für Naturschönheit, der in dem gestaltlosen Flachland
schon weniger Befriedigung fand, hat sich den Hof des Hauses um so
malerischer ausgeschmückt. Es ist, als hätten's die Bauern empfunden,
daß sie selber einige Zuthat zu den kargen natürlichen Reizen ihres
Dorfes schaffen müßten; drum halten sie hier auch die größten Stücke
auf ihre Lauben.
Und darum meine ich, daß man mit dem Auge des Künstlers die
pfälzischen Dörfer anschauen müsse: der Geist des Volkes hat überall
seine Feinheiten und Tiefen und läßt sich nicht so leicht, wie manche
Touristen glauben, vom Blatte lesen. Und hätte das Volk nicht diesen
naiven, dämmernden Sinn für die Schönheit, wo wäre die Wurzel
des Kunstsinnes und der Kunstbegabung der Gebildeten, die denn doch
immer nichts weiteres sind als dasselbe zu hellerem Bewußtsein er¬
wachte Volk.
Selten hält das Volk aus bloßem Eigensinn an einer altüberlieferten
Absonderlichkeit fest. Ein tieferer Grund, ihm selber unbewußt, steckt
meist dahinter. Ein Beispiel knüpft sich leicht an das Vorgesagte. Die
alte, gemütliche Einrichtung, daß die Hausthür nicht der Länge nach
in zwei Flügel, sondern querdurch in ein Ober- und Unterteil sich
öffnet, besteht noch in vielen älteren Häusern der Pfalz. Man findet
diese echt mittelalterliche Thür wohl auch anderwärts, nur nimmt es
Wunder, daß gerade die neuerungslustigen Pfälzer das vielfach unbequeme
Ding nicht längst durchaus abgeschafft haben. Allein diese altfränkische
Thür hat einen Vorteil, der sie noch lange in der Pfalz retten wird:
man kann sie beliebig in ein Fenster verwandeln, indem man den unteren
Theil einklinkt, den oberen aber offen hält. Zu der Neigung der Pfälzer,
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