Full text: (Für das 5. bis 8. Schuljahr in einfachen Schulen, für das 5. bis 6. Schuljahr in gegliederten Schulen) (Band 2, [Schülerband])

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Die Handgranate flog nicht dein Hunde an den Kopf, sondern 
dem Besitzer desselben durch das Fenster, mitten auf den Tisch, 
an dem er gerade die Zeitung las. Ohne zu fragen, woher der 
Schuß gekommen sei, riß der Gerber den zertrümmerten Fenster¬ 
flügel ans und sing an zu schimpfen. Der Nachbar in der weißen 
Schürze und mit den aufgestülpten Henidärmeln blieb nichts 
schuldig; Kinder und Leute liefen zusammen. Der Bäcker verließ 
den Kampfplatz zuerst, aber nur um seinen Nachbar bei Gericht 
zu verklagen. Die Sonne ging über dem Zorn der beiden Männer 
unter, und den Tag darauf wurden sie vor Gericht geladen. Der 
Gerber wurde verurteilt, den totgebissenen Mordachs mit einem 
Reichstaler zu büßen. Der Bäcker mußte für den zertrümmerten 
Fensterflügel und das Loch in der Zeitung nicht viel weniger 
bezahlen und sich mit seinem Widerpart in die angelaufenen 
Sporteln teilen. 
Von nun an war zwischen den beiden Familien eine große 
Kluft befestigt. Hinüber und herüber über die Gasse flog kein 
freundliches Wort mehr. Ging die Gerberin links zur Kirche, so 
nahm die Nachbarin ihren Weg rechts; saß der Bäcker im Post¬ 
hause außen in der Stube beim Biere, so nahm der Gerber seinen 
Platz im Kabinette. Für den ganz schuldlosen Teil, für die Kinder 
des Gerbers, gaben weder der Osterhase, noch der gute Märtel, 
noch das heilige Christkind durch die Frau Patin mehr etwas ab. 
So ging es fast drei Jahre. Einmal, am Ende des dritten, 
setzten sich der Gerber und seine Hausfrau nachmittags an dcn 
Tisch, um ihreü Kaffee zu trinken. Aber als die Gerberin die 
Tischlade herauszog, war kein Wecken zum Einbrocken darin. Ihr 
kleiner Helm, der neben ihr auf den Zehen staub und auch hinein¬ 
schaute, ries sogleich: „Mutter, einen Groschen! Ich hole das 
Brot!" Dann wandte er sich in seiner kindlichen Eilfertigkeit an 
den Vater und sagte: „Heute aber lause ich nicht lange umher; 
und wenn es beim Torbäcker kein Brot gibt, geh' ich wieder ein¬ 
mal zu dem Herrn Paten hinüber!" Der Gerber, der vielleicht 
die anklopfende Gnadenhand des Herrn spürte, sagte nicht ja und 
nicht nein darauf und ließ den kleinen Unmut ziehen. Im ersten 
Brotladen hatten aber die Wecken schon alle ihre Käufer gefunden, 
und Helm kam wieder zun: Tore herein, laut singend, wie es 
manchmal lebhafte Kinder mit ihren Gedanken zu tun pflegen,
	        
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