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Der Käfer kam mit seiner Frau,
Trank hier ein Mäßlein kühlen Tau,
Und wo nur winkt' ein Blümelein,
Da kehrte gleich das Bienchen ein.
Den Fliegen ward die Zeit nicht lang,
Sie summten manchen frohen Sang;
Die Mücken tanzten ihren Reih'n
Wohl auf und ab im Sonnenschein.
Das war ein Leben rings umher,
Als ob es ewig Kirmes wär'.
Die Gäste zogen aus und ein
Und ließen sich's gar wohl dort sein.
Wie aber geht es in der Welt?
Heut' ist gemäht das Ährenfeld,
Zerstöret ist das schöne Haus,
Und hin ist Kirmes, Tanz und Schmaus.
Hoffmann von Fallersleben.
79. Das lostbare Kräutlein.
Zwei Mägde, Brigitte und Walburg, gingen der Stadt zu,
und jede trug einen schweren Horb voll Obst auf dem Kopfe. Bri—
gitte murrte und seufzte beständig, Walburg aber lachte und scherzte.
Brigitte sagte: „Wie magst du doch lachen? dein Korb ist
ja so schwer wie der meinige, und du bist um nichts stärker
als ich.“ Walburg sprach: „Ich habe ein gewisses Kräutlein zur
Büurde gelegt, daher fühle ich sie kaum.“
„Ei,“ rief Brigitte, „das muß ein kostbares Kräutlein sein.
Ich möchte mir meine Last damit auch erleichtern. Sag mir
doch, wie es heißt!
Walburg antwortete: „Das kostbare Kräutlein, das alle
Beschwerden leichter macht, heißt — Geduld. Merk dir, Brigitte:
Leichter was er auch traägt,
Wer Geduld zur Bürde legt.“
Christoph v. Schmid.
80. Der Regenbogen.
Es war sehr heiß gewesen. Nachmittags zogen schwere
Wolken herauf, ein heftiges Gewitter entlud sich unter Donner
und Blitz; erfrischender Regen strömte herab. Nachdem die
Wolken vorübergezogen waren, strahlte die Sonne auf die er⸗
quickten Bäume und Blumen und spiegelte sich in zahllosen
Tropfen, welche auf den Gräsern und Blättern hingen.
Die Kinder traten in den Garten mit der ältesten Schwester
Marie, freuten sich der erfrischenden Luft, der Wohlgerüche,
welche die Blumen ausströmten, und des Gesanges der Vögel
in den Zweigen. Sie setzten sich im Gartenhäuschen nieder