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153. Aus Goethes „Reineke Fuchs“. 
Reinekes Ankläger. 
Pfingsten, das liebliche Fest, war gekommen, es grünten und 
blühten Feld und Wald; auf Hügel und Höhn, in Büschen und 
Hecken übten ein fröhliches Lied die neu ermunterten Vögel; jede 
Wiese sproßte von Blumen in duftenden Gründen; festlich heiter 
glänzte der Himmel und farbig die Erde. 
Nobel, der König, versammelt den Hof, und seine Vasallen eilen 
gerufen herbei mit großem Gepränge. Da kommen viele stolze Ge¬ 
sellen von allen Seiten und Enden: Lütke, der Kranich, und Markart, 
der Häher, und alle die Besten, denn der König gedenkt, mit allen 
seinen Baronen hofzuhalten in Feier und Pracht; er läßt sie berufen 
alle miteinander, so gut die Großen als Kleinen. Niemand sollte 
fehlen, und dennoch fehlte der eine, Reineke Fuchs, der Schelm, der 
viel begangenen Frevels halber des Hofs sich enthielt. So scheuet 
das böse Gewissen Licht und Tag; es scheute der Fuchs die ver¬ 
sammelten Herren. Alle hatten zu klagen, er hatte sie alle beleidigt, 
und nur Grimbart, den Dachs, den Sohn des Bruders, verschont’ er. 
Isegrim aber, der Wolf, begann die Klage. Von allen seinen 
Vettern und Gönnern, von allen Freunden begleitet, trat er vor 
den König und sprach die wichtigen Worte: „Gnädigster König und 
Herr, vernehmet meine Beschwerden! Edel seid Ihr und groß und 
ehrenvoll, jedem erzeigt Ihr Recht und Gnade. So laßt Euch denn 
auch des Schadens erbarmen, den ich von Reineke Fuchs mit großer 
Schande gelitten. Aber vor allen Dingen erbarmt Euch, daß er mein 
Weib so freventlich öfters verhöhnt und meine Kinder verletzt hat. 
Ach, er hat sie mit Unrat besudelt, mit ätzendem Unflat, daß mir zu 
Hause noch drei in bittrer Blindheit sich quälen. Zwar ist alle der 
Frevel schon lange zur Sprache gekommen, ja ein Tag war gesetzt, 
zu schlichten solche Beschwerden; er erbot sich zum Eide, doch bald 
besann er sich anders und entwischte behend nach seiner Feste. Das 
wissen alle Männer zu wohl, die hier und neben mir stehen. Herr, 
ich könnte die Drangsal, die mir der Bube bereitet, nicht mit eilen¬ 
den Worten in vielen Wochen erzählen.“ Als nun Isegrim so mit 
traurigem Mute gesprochen, trat ein Hündchen hervor, hieß Wacker¬ 
los, red’te französisch vor dem König, wie arm es gewesen und nichts 
ihm geblieben als ein Stückchen Wurst in einem Wintergebüsche; 
Reineke habe auch das ihm genommen. Jetzt sprang auch der Kater 
Hinze zornig hervor und sprach: ..Erhabner Gebieter, niemand be¬ 
schwere sich mehr, daß ihm der Bösewicht schade, denn der König 
allein! Ich sag’ Euch, in dieser Gesellschaft ist hier niemand, jung 
oder alt, er fürchtet den Frevler mehr als Euch. Doch Wackerlos’ 
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Hirt- Deutsches Lesebuch. A»-g. 8. III. Neubtg.
	        
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