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langen, braunen Schlehdornstock im Schoße. Ich setzte mich zu ihm,
fragte nach Leben und Treiben, und der Alte erzählte, daß er früher
Waldhüter gewesen sei; alle Felsen habe er erstiegen, und jede Talschlucht
sei er aber- und abermals gewandert. „Und siehst du," sagte er — der
Alte wußte nichts davon, daß man anders als „du" sagen kann — „siehst
du die Tannen dort oben? Die habe ich gepflanzt. Jeden Tag, wenn
ich zu Berge ging, habe ich meinen Bücherranzen voll Erde mit hinauf¬
getragen, und dann in den Schrunden, wo nur die Felsen einen breiten
Fleck hergeben, da habe ich sie festgemacht, und dann habe ich gewartet,
bis Gras und Gestrüpp daraus hervorgewachsen ist. Das nagelt und
klammert die Bodenerde an den Felsen. Dann hab' ich die _ kleinen
Stämmchen hinaufgetragen und eingepflanzt. Mein Fabian, mein Ältester,
der lange beim Militär war und dann von einem Baum erschlagen wurde,
hat mir, wie er noch ganz klein war, oft dabei geholfen. Wenn du hinauf¬
kommst, kannst du die Bäume sehen. Ich sehe sie nicht mehr recht."
„Und bei wem lebt Ihr jetzt?" fragte ich.
„Bei wem? bei wem?" wiederholte der Alte und sah mich starr an.
„Bei niemand. Ich hab' niemand mehr auf der Welt. Ja, noch einen
Sohn hab' ich, er kann noch auf der Welt sein, aber ich weiß es nicht."
„Und wovon lebt Ihr?"
„Ich habe meine Pension, 24 Taler jährlich. Es ist aber jetzt alles
so teuer."
„Und Euer Sohn schreibt Euch nicht und schickt Euch nichts?"
„Schreiben hat er nicht gelernt, und schicken kann man nur, wenn
man selber etwas hat. Aber er ist der bravste Mensch von der Welt, ein
gutes Kind, ein treues Kind. Er hat mir sein ganzes Vermögen hier ge¬
lassen. Aber ich rühre es nicht an. Das bleibt. Ich bin kein Ver¬
schwender. Nein, Heinrich, dein Vater bewahrt dir dein Vermögen ans."
2. Durch mancherlei Fragen erfuhr ich nun allmählich folgendes: Es
mochten wohl 18 Jahre her sein, da hatte sich der jüngste Sohn des Wald¬
hüters anwerben lassen, um nach Amerika auszuwandern. Hier waren
große Wälder, die noch keine Axt gesehen hatten, wie der Alte sich aus¬
drückte, auszustvcken und zu bewirtschaften. Nun hatte der Sohn noch
ein mütterliches Erbe, das in runden 100 Talern bestand. Der Alte tat
es nicht anders, Heinrich mußte sein Besitztum mitnehmen; es gehöre ihm,
und er könne nicht wissen, wie er draußen in der -fremden Welt einen
Notpfennig brauche. Der Sohn mußte willfahren. Aber am Samstag
vor der Abreise ging der Sohn noch zum Pfarrer, nahm Abschied und
ließ sich die Nummer des Liedes, das am nächsten Tage in der Kirche ge¬
sungen würde, auf ein Papier schreiben. In der Nacht nahm der Sohn
Abschied vom Vater, und sein letztes Wort war noch: „Vater, wenn Ihr
morgen das Lied in der Kirche singt, denkt auch gut an mich."
In der Nacht stand der Alte mehrmals auf. Es war ihm, als höre