— 392
wir höher kennen, wurden ivir sicherer, und bald sprangen wir kühn
über die Eisspalten, die sich, wunderbar schön gefärbt, zu unsern
Füßen bis xu dem nie rastenden, murmelnden Gletscherbach in mär¬
chenhafte Tiefe hinabsenkten. Schon kommen wir in die Region, wo
die Spalten mit Schnee bedeckt sind. Da, halt! Das Seil spannt sich
straff, der letxte Führer wirft sich platt auf den Schnee — der voran¬
gehende Pfadfinder war durchgebrochen und in eine Spcdte gestürzt;
aber bald wurde er, glücklicherweise unverletzt, wieder empor gehißt.
Die Wanderung auf dem Gletscherrücken selbst war weniger gefährlich
als anstrengend. Vier Stunden im Schnee waten, bei jedem Tritt den
haftenden Fuß zum neuen Schritt herausziehen, das war kein Spaß!
Aber es hat alles ein Ende, und als wir nun am Fuße der Lodalskuppe,
die sich schwarz und jäh aus dem Schnee erhebt, Rast machten, um uns
die Gaben der Frau Pfarrer schmecken zu lassen — zu unsern Füßen
in weiter, weiter Ferne der dunkelblaue Strynsee, umgeben von Schnee
und Eisriesen, um uns der Jostedalgletscher in einer Ausdehnung von
etwa zehn Meilen, in der Ferne eine Renntierherde, s üchtigen Fußes
vorüberhuschend —, da wollte das Herz uns in der Brust zerspringen:
Herr, wie sind deine Werke so groß und viel, Herr ist dein Name!
6. Aber die Hauptarbeit und Hauptgefahr des Marsches kam erst
noch. Bald gelangten ivir dahin, wo sich der Greidunggletscher vom
Bergrücken in das schöne Stryntal hinabsenkt. Wie eine Riesen¬
eisscholle, etwa 15 Meter dick, ragte das Eis des Greidungbraes gegen
den Gletscherrücken, auf dem wir standen, in die Luft. Diese Scholle
galt es zu erklettern, um dann längs ihres oberen Randes allmählich
auf die sanftere Neigung dieses Gletschers zu gelangen. Glitten wir
aus, so stürzten ivir im nächsten Augenblick in die gähnende
Gletscherspalte, mit der diese Riesenscholle, absetzte, und waren verloren.
Schon stehen wir vor der Scholle, und das Klettern soll beginnen, — da
tut sich an ihrem Fuß eine Gletscherhöhle auf, der noch schnell ein
Besuch abgestattet wird. Mit Worten ist die Märchenpracht dieses Eis¬
domes nicht zu schildern; kristallen sind seine Pfeiler, kristallen seine
himmelblauen Gewölbe, und das fast rhythmische, melodische Tröpfeln
des Gletscherwassers ist der Orgelklang in dieser Wunderkirche.
Ungern treten ivir hinaus in die rauhe, wenn auch wunderschöne
Wirklichkeit. Bald ist die Eiswand erstiegen. Ein Schneehuhn sitzt
etwa 20 Meter unter uns; wir iverfen nach ihm mit Schneebällen,
die rechts und links, neben ihm aufschlagen. Es rührt sich nicht;
Menschen und Gefahren sind ihm etwas Fremdes. Das Klettern, bei
dem jeder Schritt den Tod bringen kann, beginnt jetzt. Da ertönt ein