46
Wir mußten's ihm aus Leibeskräften beteuem, sonst hätte er's
wirklich nicht geglaubt.
Da preßte der Alte den halben Gulden stürmisch an seine Bmst
und jauchzte zwischen Lachen und Weinen: „Also ich hab ihn wirklich
wieder, meinen halben Gulden? Gott, ach Gott, diese Freude! Gottes¬
lohn, Hanfrieder! Gotteslohn, Kinder!"
Als unser Vater nun meinte, daß wir doch gar nichts getan hätten,
womit wir Gotteslohn verdient, fiel ihm der Glückliche stürmisch in die
Rede: „Was, Hanfrieder, nichts getan? Wenn einer selbst blutarm ist
und findet nun einen halben Gulden und versteckt ihn nicht, sondern
gibt ihn mit Freuden dem Verlierer zurück, das wäre keine Tat? Ge¬
rade in die rechten Augen und Hände ist mein Guldenstück gekommen."
Diese innigen Freudenworte erschöpften die Kraft seines Dank¬
gefühls noch keineswegs. Als er das Geldstück so wohl geborgen hatte,
daß es nicht wieder verloren gehen konnte, eilte er flugs davon und
verschwand zwischen den Bäumen, und als er nach einer kurzen Weile
wiederkam, hatte er einen Arm voll Reisig und den ganzen Kittel, den
er wie eine Schürze aufgenommen, voll blanker Späne. Und dann
lief er noch dreimal fort und kam jedesmal schwer belastet zu uns zurück,
und so kriegten wir schönere Trächte als alle anderen Kinder, die heute
aus dem Holze gingen.
In der Freude merkten wir kaum, wie schwer die Trächte waren;
wir ruhten einmal und brachten nicht nur die Trächte, sondern auch
die Glückseligkeit glücklich nach Hause.
Heinrich Sohnrey. (Aus „Friedesiuchens Lebenslauf.")
37. Irene Freundschaft.
Einst trafen auf ihrer Wanderschaft zwei Handwerksburschen
zusammen; der eine war ein Schmied, der andere ein Schneider.
Sie reisten mehrere Wochen miteinander, bis sie endlich nach Polen
kamen. Während dieser Zeit hatten sie sich genauer kennen gelernt,
einander ihr Herkommen und ihre Lebensgeschichte erzählt und
endlich Brüderschaft miteinander gemacht. Sie teilten gewöhn¬
lich, was sie von Lebensmitteln hatten, unter sich und halfen sich
gegenseitig in allem brüderlich aus. Es fügte sich, daß der Schmied
in Polen krank wurde und in einem fremden Dorfe unter fremden
Leuten, die nicht einmal deutsch verstanden, liegen bleiben mußte.
Hier wäre er übel daran gewesen, wenn er seinen Kameraden nicht
bei sich gehabt hätte; denn er hatte kein Geld, und sein Felleisen
war mit allem, was sich darin befand, kaum einige Taler wert. Dies
wurde nun freilich verkauft; aber das daraus gelöste Geld war bald
verzehrt, und noch sah man keine Besserung. Nun bewies sich der
Schneidergeselle recht brüderlich gegen ihn und verließ ihn nicht
in seiner Not. „Hier in diesem fremden Lande bin ich ihm ja der