Full text: Lesebuch für die Oberklassen katholischer Volksschulen

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auch ernähren werden. Mit den zwei letzten Groschen aber, 
die ich verschenke, ernähre ich aus brüderlicher Liebe meine 
beiden armen und kränklichen Schwestern.“ 
Det König war sehr erfreut über die Antwort des braven 
Landmannes, der mit aller Anspruchslosigkeit und heiterer 
Laune von der Verwendung seines Lohnes gesprochen hatte, 
und bezeigte ihm seine herzliche Zufriedenheit. Nach einigen 
Tagen wurde ihm dann bekannt gemacht, dass der König 
durch ein kleines Jahrgeld ihm beistehen wolle, seine sonder¬ 
baren Schulden zu verringern und sein Kapital für Zeit und 
Ewigkeit zu vermehren. Da erst erfuhr der gute Mann, wer 
mit ihm geredet hatte. 
148. Aus dem Testamente einer Mutter. 
(Wegweiser zum Häuslichen Glück für Mädchen.) 
Liebe Tochter! 
Ich kann Dir kein großes Vermögen Hinterlassen. Dn 
weißt, daß Dein Vater und ich nur mit vielem Fleiß und gro¬ 
ßer Sparsamkeit Dich und Deine Geschwister in Ehren großge¬ 
zogen haben. Auch Dn bist auf Deiner Hände Fleiß und weises 
Sparen angewiesen, wenn Du in Ehren durchs Leben kommen 
willst. Darum folge meiner Mahnung und liebe die Genügsam¬ 
keit. Verlange nicht immer nach dem, was Dn an andern siehst, 
die besser gestellt sind als Dn; schau mehr auf jene hin, die 
weniger haben und ärmer sind. Begegnet Dir eine Bekannte in 
besserm Kleide, in schönerm Hute oder gar in Samt und Pelz¬ 
werk, dann verlange nicht gleich: Hätte ich's auch so! Sei zu¬ 
frieden, wenn Du, obschon einfach und schlicht, doch anständig 
gekleidet bist. Bekämpfe mit Macht jede Regung der Hoffart 
und laß ja nicht die Eitelkeit Herrin über Dich werden; sie 
würde Dich quälen mit nie zu befriedigenden Wünschen, sie 
würde Dein armes Herz verzehren in bitterm Neid und Dir so 
alle Zufriedenheit und alle Fröhlichkeit rauben. Du würdest 
gefallsüchtig, hochfahrend und prahlerisch werden, andere ans 
Mißgunst verachten, häufig beleidigen und verletzen und so alle 
Deine Liebenswürdigkeit verlieren. 
Mit der Eitelkeit geht die Naschhaftigkeit Hand in Hand. 
Wer sich von der Hoffart beherrschen läßt, ist selten stark genug, 
die Gaumenlust im Zaum zu halten. Und doch muß auch diese 
böse Lust bekämpft und bezähmt werden, wenn Dir das häus¬ 
liche Glück erblühen soll. Als Dn noch klein warst, erhieltst 
Dn zuweilen etwas zum Naschen als Belohnung oder zur Er¬ 
munterung Deines Fleißes; jetzt, da Du größer und verständiger 
geworden bist, darf Dich dergleichen nicht mehr reizen. Bewahre
	        
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