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und fragtest dort ein Engelein:
„Wie hoch rnag wohl der Himmel sein?"
Dann sei gewiß, das Englein spricht:
„Mein Kind, das weiß ich selber nicht;
doch frag' einmal dort drüben an,
ob jener Stern dir's sagen kann!
Du brauchst indes nicht sehr zu eilen,
es sind nur hunderttausend Meilen."
Und flögst du nun zum Sternlein dort,
man sagt dir doch dasselbe Wort;
und flögst du weiter fort und fort,
von Stern zu Stern, von Ort zu Ort: —
Es weiß doch niemand dir zu sagen,
du wirst doch stets vergeblich fragen:
Wie hoch mag wohl der Himmel sein? —
Denn, Kind, das weiß nur Gott allein!
L öwenstein.
III. Aus alter und neuer Zeit.
158. In der Germanenhütte.
1. Die Kinder saßen mit der Mutter in der warmen Stube.
Es begann dunkel zu werden, und der Mond stand am klaren Himmel
und schaute durch die kahlen Zweige des alten Lindenbaumes.
„O Mond," sagte Erich in Gedanken, „in deinen Kopf möchte ich
einmal hineinschauen. Von dir möchte ich mir einmal etwas erzählen
lassen; aber dann gleich von einer Zeit, die weit, weit hinter uns
liegt, tausend oder zweitausend Jahre. Da haben hier doch die alten
Germanen gewohnt. Aber wie haben sie gelebt? Was taten sie und
ihre Kinder, wenn du am Abend in ihre Hütten schautest? Gesehen
hast du es doch gewiß! Das könntest du mir einmal erzählen, aber
bitte, ganz lang und breit! Darauf bin ich wohl sehr neugierig."
Der Mond schmunzelte bei diesen Gedanken des Knaben und
sagte: „Neugierig bist du fürwahr, du Kleiner; aber ich will's ver¬
suchen, dir deine Fragen zu beantwotten.
2. Vor bald zweitausend Jahren, als der kleine Himmelsknabe
fern in Bethlehem geboren wurde, da waren hier in diesem Lande
große, dichte Wälder. Viel Sumpf und Morast. Viel Nebel! Und
wilde Tiere lebten hier: Auerochsen mit gewaltigen Hörnern, dazu
mächtige Brummbären und Wölfe. O, dies heisere Bellen, dies
hungerige Brummen, wenn die Riesenbäume vor Kälte trachten!
.Vnderfreund. 10