28
an, und die Kinder sangen so schön und rein, daß meine Jungen mir sv
staunten. Des Alten Sang klang wunderbar dazwischen, und jetzt kam
das Weinen an meine Herren Buben. Als gar die Kinder der Reihe nach
ihnen dankten und der Vater sagte: „Es fehlt nur noch unsre gute Mutter;
dann wär's so schon gewesen wie noch nie. Aber gelt, Kinder, das hat
uns doch unsre selige Mutter geschickt, damit wir nicht so traurig sein
sollten" — da wurde es ihnen vollends wunderbar warm ums Herz
herum, daß ich sie drängen mußte zum Weitergehen; sie wären gar zu gern
noch geblieben. Unser kleiner Nabob, den wir bei uns hatten, der Besitzer
der nengeprägten Silberstücke, wollte sie alle hergeben; aber wir brauchten
noch etliche für den letzten Gang.
4. Das Häuschen, wohin wir jetzt gingen, lag nahe am Kirchhof,
und meine Jungen wollte fast ein Gruseln ankommen. Es ging diesmal
hinauf in schwindlige Höhe. Nachdem wir gesungen hatten, öffnete uns
eine Frau. Sie war eine Witwe; ihr Mann war wenige Jahre nach
ihrer Verheiratung gestorben und hatte ihr einen Sohn hinterlassen. Der
war nun vierzehn Jahr alt und lag seit Jahr und Tag schon krank
und lahm. Sein rechtes Bein war nur eine große Wunde. Trotz
der Armut war alles sauber, und das Linnen, worin er gebettet war,
schneeweiß wie der frischgefallene Schnee draußen. Die großen Angen
des Knaben funkelten, und über seine blassen Wangen zog eine dunkle
Röte, als er die vielen Knaben sah, die sein Bett umstanden. Auch ihm
zündeten wir den Christbaum an und rückten ihn nahe an sein Bett. Für
ihn hatte ich die besten Sachen zurückbehalten und zwei Flaschen guten
Rotwein, die uns ein Vater noch mitgegeben, und das Eingemachte und
den Himbeersaft, um seinen brennenden Durst zu stillen. Nie werde ich
den dankbaren Blick des Knaben vergessen, und wie er seine weiße, ab¬
gezehrte Hand den Jungen entgegenstreckte. Die Mutter sagte nichts; aber
ihre Augen sagten alles. — Wir sangen ihnen noch ein paar Lieder, und dann
ging's nach Hause. Unsre Körbe waren geleert, und das Geld war fort.
5. Als ich von meinen Jungen Abschied nahm, trat einer hervor,
der einen schönen, violetten Samtkittel anhatte, und sagte: „Das war
aber das allerschönste Weihnachtsfest in meinem Leben", und die andern
nickten dazu und drückten mir die Hand. Das sind jetzt alles große
Männer geworden; denn es ist bald vierzig Jahre her, daß ich mit meinen
Jungen ausgegangen bin. Als ich vor Jahren einen von ihnen traf
— es war gerade der Samtkittel —, sagte er: „Wenn ich hundert Jahr alt
werde, vergesse ich jenen Abend nicht. Da hab' ich zum erstenmal eine
Ahnung bekommen, wie wahr das Wort ist: Geben ist seliger dein:
Nehmen." Emil Frommel. ,Aus Lenz und Herbst.)