Full text: [Dritter Teil = (6. bis 8. Schuljahr)] (Dritter Teil = (6. bis 8. Schuljahr))

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an, und die Kinder sangen so schön und rein, daß meine Jungen mir sv 
staunten. Des Alten Sang klang wunderbar dazwischen, und jetzt kam 
das Weinen an meine Herren Buben. Als gar die Kinder der Reihe nach 
ihnen dankten und der Vater sagte: „Es fehlt nur noch unsre gute Mutter; 
dann wär's so schon gewesen wie noch nie. Aber gelt, Kinder, das hat 
uns doch unsre selige Mutter geschickt, damit wir nicht so traurig sein 
sollten" — da wurde es ihnen vollends wunderbar warm ums Herz 
herum, daß ich sie drängen mußte zum Weitergehen; sie wären gar zu gern 
noch geblieben. Unser kleiner Nabob, den wir bei uns hatten, der Besitzer 
der nengeprägten Silberstücke, wollte sie alle hergeben; aber wir brauchten 
noch etliche für den letzten Gang. 
4. Das Häuschen, wohin wir jetzt gingen, lag nahe am Kirchhof, 
und meine Jungen wollte fast ein Gruseln ankommen. Es ging diesmal 
hinauf in schwindlige Höhe. Nachdem wir gesungen hatten, öffnete uns 
eine Frau. Sie war eine Witwe; ihr Mann war wenige Jahre nach 
ihrer Verheiratung gestorben und hatte ihr einen Sohn hinterlassen. Der 
war nun vierzehn Jahr alt und lag seit Jahr und Tag schon krank 
und lahm. Sein rechtes Bein war nur eine große Wunde. Trotz 
der Armut war alles sauber, und das Linnen, worin er gebettet war, 
schneeweiß wie der frischgefallene Schnee draußen. Die großen Angen 
des Knaben funkelten, und über seine blassen Wangen zog eine dunkle 
Röte, als er die vielen Knaben sah, die sein Bett umstanden. Auch ihm 
zündeten wir den Christbaum an und rückten ihn nahe an sein Bett. Für 
ihn hatte ich die besten Sachen zurückbehalten und zwei Flaschen guten 
Rotwein, die uns ein Vater noch mitgegeben, und das Eingemachte und 
den Himbeersaft, um seinen brennenden Durst zu stillen. Nie werde ich 
den dankbaren Blick des Knaben vergessen, und wie er seine weiße, ab¬ 
gezehrte Hand den Jungen entgegenstreckte. Die Mutter sagte nichts; aber 
ihre Augen sagten alles. — Wir sangen ihnen noch ein paar Lieder, und dann 
ging's nach Hause. Unsre Körbe waren geleert, und das Geld war fort. 
5. Als ich von meinen Jungen Abschied nahm, trat einer hervor, 
der einen schönen, violetten Samtkittel anhatte, und sagte: „Das war 
aber das allerschönste Weihnachtsfest in meinem Leben", und die andern 
nickten dazu und drückten mir die Hand. Das sind jetzt alles große 
Männer geworden; denn es ist bald vierzig Jahre her, daß ich mit meinen 
Jungen ausgegangen bin. Als ich vor Jahren einen von ihnen traf 
— es war gerade der Samtkittel —, sagte er: „Wenn ich hundert Jahr alt 
werde, vergesse ich jenen Abend nicht. Da hab' ich zum erstenmal eine 
Ahnung bekommen, wie wahr das Wort ist: Geben ist seliger dein: 
Nehmen." Emil Frommel. ,Aus Lenz und Herbst.)
	        
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