Full text: Erstes Lesebuch für die Mittelstufe (Teil 3, [Schülerband])

2. Eltern und Geschwister. 11 
und zerbrichst das Glas; dann hat die kranke Großmutter nichts.“ Rot— 
käppchen sagte: „Ja, ich will alles recht gut ausrichten,“ und gab der 
Mutter die Hand darauf. 
2. Die Großmutter aber wohnte draußen im Walde, eine halbe 
Stunde vom Dorfe. Wie nun Rotkäppchen in den Wald kam, begegnete 
ihm der Wolf. Rotkäppchen aber wußte nicht, was das für ein böses 
Tier war, und fürchtete sich nicht vor ihm. „Guten Tag, Rotkäppchen,“ 
sprach er. — „Schönen Dank, Wolf.“ — „Wo willst du so früh hinaus, 
Rotkäppchen?“ — „Zur Großmutter.“ — „Was trägst du unter der Schürze?“ 
— „Kuchen und Wein für die kranke und schwache Großmutter; gestern 
haben wir gebacken, da soll sie sich stärken.“ — „Rotkäppchen, wo wohnt 
deine Großmutter?“ — „Noch eine gute Viertelstunde weiter im Walde, unter 
den drei großen Eichbäumen, da steht ihr Haus; unten sind die Nußhecken, 
das wirst du ja wissen,“ sagte Rotkäppchen. Der Wolf dachte bei sich: 
Das junge, zarte Ding, das ist ein fetter Bissen für dich; wie fängst 
du es an, daß du den kriegst? Da ging er ein Weilchen neben Rotkäppchen 
her; dann sprach er: „Rotkäppchen, sieh einmal die schönen Blumen, die im 
Walde stehen; warum guckst du dich nicht um? Ich glaube, du hörst gar 
nicht darauf, wie die Vöglein so lieblich singen? Du gehst ja für dich hin 
als wie zur Schule, und es ist doch so lustig in dem Walde.“ 
3. Rotkäppchen schlug die Augen auf, und als es sah, wie die Sonnen— 
strahlen durch die Bäume hin und her sprangen und alles voll schöner Blumen 
stand, dachte es: Ei, wenn ich der Großmutter einen Strauß mitbringe, 
der wird ihr auch lieb sein; es ist noch früh, daß ich noch zur rechten Zeit 
ankomme, — und sprang in den Wald und suchte Blumen. Und wenn es 
eine gebrochen hatte, meinte es, dort stünde noch eine schönere, und lief da— 
nach und lief immer weiter in den Wald hinein. Der Wolf aber ging 
geradeswegs nach dem Hause der Großmutter und klopfte an die Tür. — 
„Wer ist draußen?“ — „Das Rotkäppchen! Ich bring' dir Kuchen und Wein; 
mache mir auf!“ — „Drück nur auf die Klinke,“ rief die Großmutter; „ich 
bin zu schwach und kann nicht aufstehn!“ Der Wolf drückte auf die Klinke, 
trat hinein und ging, ohne ein Wort zu sprechen, geradezu an das Bett der 
Großmutter und verschluckte sie. Dann nahm er ihre Kleider, tat sie an, 
setzte sich ihre Haube auf, legte sich in ihr Bett und zog die Vorhänge vor. 
4. Rotkäppchen aber war derweil herumgelaufen nach Blumen, und als 
es so viele hatte, daß es keine mehr tragen konnte, fiel ihm die Großmutter 
wieder ein, und es machte sich auf den Weg zu ihr. Wie es ankam, stand 
die Tür offen; darüber verwunderte es sich; und als es in die Stube kam, 
sah es so seltsam drin aus, daß es dachte: Ei, du mein Gott, wie ängstlich
	        
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