Kultur und Staaten Europas. — § 24: Mitteleuropa. 61
Infolge seiner dichten Bevölkerung kann Europa nicht genügend Nahrungs-
mittel für diese hervorbringen, ebenso fehlen ihm viele Rohstoffe für seinen Ge-
Werbebetrieb. Um diese unentbehrlichen Güter einführen zu können, liefert es den
fremden Erdteilen feine Fabrikate. Der Handel ist also für das Dasein der euro-
Peuschen Bevölkerung ebenso unentbehrlich wie die Industrie.
Die großen Fortschritte in allen Zweigen tüchtiger Arbeit, verbunden mit der
Pflege der geistigen Güter Religion, Kunst und Wissenschaft, welche sich
vorzugsweise bei den germanischen und den romanischen Völkern findet, haben dem
kleinsten Erdteil der Alten Welt seine geistige Überlegenheit über die andern uud
seine politische Machtstellung verschafft.
Die Kolonien der Europäer in den fremden Erdteilen, die zur Erhaltung und
Vergrößerung dieser Macht gegründet worden sind, bedecken 70 Mill. km2 mit etwa
530 Mill. Menschen. Mit Inbegriff derselben besitzen daher die Europäer etwa
drei Fünftel alles festen Landes, auf denen weit mehr als die Hälfte der gesamten
Bewohner der Erde leben. An der Gründung von Kolonien haben vorzugsweise
die westeuropäischen Völker infolge ihrer ozeanischen Lage teilgenommen, zunächst
die Portugiesen, Spanier und Franzosen; doch sind diese in der Folge zum Teil
von den Holländern und besonders den Engländern überflügelt worden. Seit 1884
hat auch Deutschland die ersten Schritte auf diesem Gebiete getan.
Die großen Verkehrsmittel der Neuzeit sind zuerst in Europa in Anwendung
gekommen. Es besitzt 310 000 km Eisenbahnen (die Vereinigten Staaten von
Amerika dagegen 350 000 km), über 750 000 km Telegraphenlinien und eine große
Reihe von Dampferverbindungen mit allen Ländern der Erde (vgl. § 71).
4. Staatsverfassung.
In Europa ist die Monarchie die gewöhnliche Staatsform, indem
es neben den Monarchien nur zwei größere Republiken gibt, nämlich
Frankreich und die Schweiz. Die Monarchie hat bloß ausnahmsweise die
Form der Despotie, wie in der Türkei, oder der Autokratie, wie
in Rußland, sonst findet sich überall die konstitutionelle Monarchie
(S. 14). Das Deutsche Reich uud die Schweiz bilden je einen Bundes-
staat; der deutsche ist aus 26 Einzelstaaten, der schweizerische aus
22 Kantonen zusammengesetzt.
Über die europäischen Großmächte s. S. 43.
B. Mitteleuropa.
§ 24. Abersicht.
1. Nach seiner Umrißgestalt, seinen Bodenformen und seinen klimatischen
Eigentümlichkeiten zerfällt Europa in fünf große natürliche Hauptgebiete
(S. 36), nämlich Süd e uropa: die drei mittelmeerischen Halbinseln;
Osteuropa: das russische Tiefland; Norde uropa: die Skandinavische
Halbinsel uud Dänemark; Westeuropa: die Britischen Inseln und Frank-
reich; Mitteleuropa: alles Land zwischen den vorgeuaunten vier Rand-
gebieten des Erdteils.
Mitteleuropa wird eingenommen von dem Hochgebirge der Alpen,
die allerdings mit ihren westlichen uud südlichen Teilen zu Frankreich und
Italien gehören, von den Hochebenen der Schweiz und Oberdeutschlands,