Full text: [Teil 3 = (6. bis 8. Schuljahr), [Schülerband]] (Teil 3 = (6. bis 8. Schuljahr), [Schülerband])

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erstanden, früh beim Milchfahren in der Stadt. Gottlob! das Milch¬ 
geschäft geht gut, der Kundenkreis erweitert sich, und ich habe schon 
bei den Farmern in der Umgegend Milch aufkaufen müssen, um der 
Nachfrage zu genügen. Da geht’s denn jeden Tag früh 2 Uhr an 
die Arbeit, Sommer wie Winter. Du würdest Dich wundern, wie nett 
der ehemalige Gutsinspektor Möller sich als Kuhmelker ausnimmt 
Zuerst habe ich mich ein wenig geziert; ich würde wahrscheinlich 
im lieben Schwabenlande recht grob geworden sein, wenn jemand das 
Melken von mir verlangt hätte. Hier im freien Amerika schändet 
keine Arbeit, und so ist der Farmer Möller ein fleißiger Milchwirt¬ 
schafter geworden. 15 Kühe habe ich im Stall; neben Rauhfutter 
gibt man hier fast ausschließlich Mais, der den Milchertrag der Kühe 
wesentlich hebt. 
2. Also heute morgen gegen 6 Uhr fuhr ich meinen Wagen voll 
Milchkannen nach Paterson hinein, kaufte den Festbraten — Rind¬ 
fleisch das Pfund zu 9 Cents — 36 Pfennig —, dazu für meine beiden 
Knechte je eine Wolljacke und für uns drei noch ein ordentliches 
Paket Rauchtabak, der übrigens lange nicht so gut wie bei Euch in 
Deutschland ist. Dann habe ich den Nachmittag über fleißig meinen 
Braten begossen — kochen muß man als Farmer auch lernen. Dabei 
wurde das Bäumchen geschmückt, und dann saß ich mit meinen 
beiden Knechten, einem Schotten und einem Skandinavier, bei dem 
Weihnachtsbaum. Als Festessen gab’s Spätzele und Rinderbraten, 
und schließlich habe ich angefangen zu singen, natürlich Weihnachts¬ 
lieder. Dann hat auch der Schotte die schwermütigen Weisen seiner 
Heimat angestimmt, und der Schwede hat still geschwiegen und sich 
wahrscheinlich wie wir andern auch rechtschaffen nach Hause gesehnt. 
Am ersten Feiertage hat der Schotte die Milch nach der Stadt 
besorgt, und ich bin in die deutsche Kirche gefahren, zwei Stunden 
zu Wagen. Da fühlt man sich in der Fremde daheim, wenn man 
im deutschen Gottesdienst in der Mitte von Landsleuten sitzt, und 
man spürt erst, wieviel die deutsche Kirche dem Auswanderer ist, 
wie sie vornehmlich ihm noch sein Deutschtum erhält. Freilich viel 
zu erhalten ist da nicht mehr. Darüber wunderst Du Dich und 
denkst: Aha, der Heinrich Möller ist auch so einer, der’s nicht eilig 
genug damit haben kann, seinen Vornamen in Henry oder John oder 
Fred umzuwandeln, um so auch äußerlich sein Deutschtum abzulegen. 
Nein, ich will der Heinrich Möller aus Schwaben auch im Lande der 
Yankees bleiben; aber Du kannst mir’s glauben, leicht wird das nicht 
immer sein. Auf meiner Farm muß ich Englisch sprechen, der Schotte
	        
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