Object: Lesebuch für städtische und gewerbliche Fortbildungsschulen

126 
auch machte er mit ihnen Krankenbesuche und fuhr mit zu krankem 
Vieh. Offen gesteht er, von diesen Leuten manches Nützliche und 
Gute gelernt zu haben. Immer trefflicher wurden infolge dieses 
eifrigen Strebens seine Kenntnisse, immer mehr Bewunderung er¬ 
regte seine Arbeitskraft, unübertrefflich war seine Liebe zur Sache 
und zu den Mitmenschen. Solchem Arzt schenkte die ganze Stadt 
und die Umgegend das Vertrauen im reichsten Maße. 
Nach seiner Verheiratung siedelte Heim 1783 nach Berlin über. 
Von Gott erbat er sich den Segen für seine fernere Laufbahn. Der 
Mann, der in Berlin mit den ersten Männern des Staates und mit 
Fürsten verkehrte, ist im vollsten Sinne des Wortes der Mann des 
Volkes geworden. Bei dem Einzuge des Königs, 1814, war die 
Stadt glänzend illuminiert (feierlich beleuchtet). Heim wollte zu 
Pferde an dem Jubel teilnehmen, geriet aber bald hart ins Ge¬ 
dränge und sollte vom Pferde gerissen werden. Bald aber erkannten 
einige den Mann des Volkes und riefen: „Es ist der Doktor Helln. 
Dem soll keiner etwas anhaben; der kann reiten, wo er will." Heim 
wurde sicher durch die dichtesten Massen geleitet. 
Leutselig war der menschenfreundliche Arzt gegen Niedere und 
Arme, freimütig gegen Hohe und Vornehme. Oft fand er nachts 
keine Ruhe, wenn ihm ein Mittel einfiel, durch das diesem oder 
jenem Kranken vielleicht geholfen werden könne. Dann stand er 
auf und traf seine Anordnungen. Einst loar er durch drei Nacht¬ 
wachen ermüdet und erschöpft. In der folgenden Nacht sollten 
alle Hilfesuchenden abgewiesen werden. Da kam ein jammernder 
Vater, dessen Kind im Sterben lag. Er wurde zwar fortgeschickt, 
bat aber nach einer Stunde noch dringender. Heim kämpfte einige 
Zeit mit sich, blieb jedoch auf seiner Gattin Wunsch liegen und be¬ 
schwichtigte durch den Gedanken an die Pflicht der Selbsterhaltung 
sein Gewissen. Plötzlich aber erwachte in ihm der Gedanke: „Gott 
hat dir im Leben so viel Liebe erzeigt, solltest du nicht auch einmal 
ihm etwas zu Liebe tun?" und es währte nicht lange, so war er am 
Bette des kranken Kindes. 
Eine Prinzessin wollte ihn zu ihrem Leibarzt wählen, ließ ihn 
aber in ihrem Vorzimmer bei seinem ersten Besuche sehr lange 
warten. Als er endlich vorgelassen wurde, erklärte er der hohen 
Frau unumwunden, er müsse drei Bedingungen stellen: Die Prin¬ 
zessin dürfe ihn nicht mit „Er" anreden; da ferner viele Leute seiner 
bedürften, könne er im Vorzimmer nicht warten; auch möge sie ihn 
königlich bezahlen. 
Heim berichtet in seinem Tagebuche: „Seit vierzig Jahren 
haben arme Kranke freien Zutritt bei mir gehabt und Rat und Hilfe 
erhalten. Ihre Zahl belief sich monatlich auf fünf- bis neunhundert. 
Des Morgens um 8 Uhr, wo ich auszufahren pflegte, war ich meist 
schon wie gekocht und ganz ermattet." Bereits während des An¬ 
kleidens und Rasierens begannen die Armenkuren. Nur vier bis 
fünf Stunden gönnte er dem Schlafe. Die Zahl der täglichen 
Krankenbesuche betrug mehr als 60. Nur eine streng geregelte
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.