Full text: [Teil 3 = Sechstes - Achtes Schuljahr, [Schülerband]] (Teil 3 = Sechstes - Achtes Schuljahr, [Schülerband])

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sondern sagte: „Wofür bin ich ein reicher Mann, wenn ich soll leben 
wie ein Hund und der Doktor will mich nicht gesund machen für mein 
Geld?" 
Endlich hörte er von einem Arzt, der hundert Stunden weit weg 
wohnte, der sei so geschickt, daß die Kranken gesund würden, wenn 
er sie nur recht anschaue, und der Tod gehe ihm aus dem Wege, wo 
er sich sehen lasse. Zu dem Arzte faßte der Mann ein Zutrauen 
und schrieb ihm seinen Zustand. Der Arzt merkte bald, was ihm 
fehlte, nämlich nicht Arznei, sondern Mäßigkeit und Bewegung, und 
sagte: „Wart, dich will ich bald kuriert haben!" Deswegen schrieb 
er ihm ein Brieflein folgenden Inhalts: „Guter Freund, Ihr habt 
einen schlimmen Umstand; doch wird Euch zu helfen sein, wenn Ihr 
folgen wollt. Ihr habt ein böses Tier im Bauch, einen Lindwurm 
mit sieben Mäulern. Mit dem Lindwurm muß ich selber reden, und 
Ihr müßt zu mir kommen. Aber fürs erste dürft Ihr nicht fahren 
oder auf dem Rößlein reiten, sondern auf des Schuhmachers Rappen; 
sonst schüttelt Ihr den Lindwurm, und er beißt Euch die Eingeweide 
ab, sieben Därme auf einmal ganz entzwei. Fürs andere dürft Ihr 
nicht mehr essen als zweimal des Tages einen Teller voll Gemüse, 
mittags ein Bratwürstlein dazu und nachts ein Ei und am Morgen 
ein Fleischsüpplein mit Schnittlauch drauf. Was Ihr mehr esset, 
davon wird nur der Lindwurm größer, also daß er Euch die Leber 
erdrückt, und der Schneider hat Euch nimmer viel anzumessen, aber 
der Schreiner. Dies ist mein Rat, und wenn Ihr mir nicht folgt, 
so hört Ihr im andern Frühjahr den Kuckuck nimmer schreien. Tut, 
was Ihr wollt!" 
Als der Patient so mit sich reden hörte, ließ er sich sogleich den 
andern Morgen die Stiefel salben und machte sich auf den Weg, wie 
ihm der Doktor befohlen hatte. Den ersten Tag ging es so langsam, 
daß wohl eine Schnecke hätte können sein Vorreiter sein, und wer 
ihn grüßte, dem dankte er nicht, und wo ein Würmlein auf der Erde 
kroch, das zertrat er. Aber schon am zweiten und am dritten Morgen 
kam es ihm vor, als wenn die Vögel schon lange nimmer so lieblich 
gesungen hätten wie heute, und der Tau schien ihm so frisch und die 
Kornrosen im Felde so rot, und alle Leute, die ihm begegneten, 
sahen so freundlich aus, und er auch. Und alle Morgen, wenn er aus 
der Herberge ging, war's schöner, und er ging leichter und munterer 
dahin. Und als er am achtzehnten Tag in der Stadt des Arztes 
ankam und den andern Morgen aufstand, war es ihm so wohl, daß
	        
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