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180. Marburg.
Wer auf der Eisenbahn von Cassel nach Frankfurt a. M.
fährt, bekommt auf der ganzen Strecke kein lieblicheres Städte—
bild zu schauen als das von Marburg, der Hauptstadt Oberhessens.
Allgemein wird Marburg als „die Perle des Hessenlandes“ bezeichnet,
und ein berühmter Schriftsteller nennt es „die reizendste Bergstadt,
die wir Deutschen haben“.
Auf dem steilen Ostrande eines langgestreckten Bergrückens, der
aus dem hohen Gelände von Westen her weit ins Lahntal vorspringt,
thront 111 m über dem Flußspiegel die altersgraue landgräfliche
Burg. Unterhalb derselben lagern auf drei Seiten des steilen Berg—
abhangs auf künstlich hergerichteten Erdstufen die schiefergedeckten
Häuser der Stadt. Sie breiten sich im Tale bis an die Ufer der
Lahn aus, welche die Stadt in weitem Bogen mehrfach umarmt,
während am linken Flußufer bis zu den gegenüberliegenden nahen
Höhen die Vorstadt Weidenhausen sich hinzieht. Das höchst malerische
Bild umrahmen schönbewaldete, meist steil aufsteigende, von engen
Tälern durchzogene Sandsteinberge, die am Abhange oder auf der
Höhe mit fruchtbaren Obsthainen, Gärten und Feldern geschmückt sind
und eine reizende Aussicht in die Nähe und Ferne gewähren. Mar—
burg liegt so recht im Schoße der schönsten Natur, in einer reichen
Fülle von Berg und Tal, Fluß und Wald, Auen und Gärten. Das
Ganze ist ein Lustgarten, verschönert durch die Kunst.
Zu dem seltenen Reichtume landschaftlicher Schönheit, welcher die
Stadt auszeichnet, gesellt sich noch ein ebenso seltener Reichtum an
Ehren und mannigfachen geschichtlichen Erinnerungen. Ursprünglich
ein Dorf, entstanden um den Wirtschaftshof des alten Bergschlosses,
war Marburg nach dem zwei Stunden entfernten Oberweimar ein⸗
gepfarrt, wohin auch die Toten gebracht wurden. Landgraf Ludwig
bon Thüringen und Hessen erhob es 1227 zur Stadt. Zwei Jahre
später erhielt seine Gemahlin Elisabeth Marburg zum Witwensitze.
Das von Elisabeth gegründete Hospital verlieh nach ihrem im Jahre 1231
erfolgten Tode Landgraf Konrad den deutschen Rittern, die sich 1233
hier niederließen und die bis 1809 blühende Deutschordens-Kommende
Marburg gründeten.
Nachdem sodann 1235 Elisabeth vom Papste heilig gesprochen
worden war, erfolgte im nächsten Jahre die Erhebung ihrer Gebeine,
zu der über 100000 Menschen herbeigeeilt waren; der Kaiser
Friedrich D. umgeben von einer glänzenden Versammlung von
Fürsten und hohen Geistlichen, setzte selbst der Heiligen eine goldene
Deutches Lesebuch. Ausgabe B. I. Teil. 1. Auflage. 16