Full text: Für die Mittelstufe der Lehrerseminare (Band 3, [Schülerband])

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Wesen fern, und trug er Liebe und Wohlwollen zu allen Menschen. So lebte er 
unter uns als die Freude des ganzen Hauses; und als die Zeit gekommen war, 
da es nöthig schien, ihn in eine größere Gemeinschaft der Jugend und in weitere 
Kreise des Unterrichtes einzupflanzen, fing er auch da an, sich einzuleben und zu 
gedeihen, und auch der verdiente und wohlgemeinte Tadel seiner Lehrer fiel auf 
guten Boden. So gedachte ich ihn noch weiter zu begleiten mit väterlichem Auge 
und erwartete ruhig, in welchem Maße seine geistigen Kräfte sich weiter entwickeln 
und nach welcher Seite menschlicher Thätigkeit hin seine Neigung sich wenden würde. 
Ja, wenn ich mir oft sagte — in ganz anderem Sinne, als nun geschehen ist —, 
daß es mir nicht gegeben sein würde, seine Erziehung zu vollenden, so war ich 
doch gutes Muthes. Ich sah auch das als einen schönen Segen meines Berufes 
an, daß es ihm dereinst nie fehlen würde, treuen, väterlichen Rath und kräftigen Beistand 
zu finden um meinetwillen: aber ich hoffte, er werde ihm auch nicht entstehen um 
seinetwillen. 
Diese mir über alles wichtige Aufgabe für mein ganzes übriges Leben, an der 
mein Herz mit voller Liebe hing, ist nun unaufgelöst durchstrichen; das freundlich 
erquickende Lebensbild ist plötzlich zerstört, und alle Hoffnungen, die auf ihm ruhten, 
liegen hier und sollen eingesenkt werden mit diesem Sarge! Was soll ich sagen? 
Es gibt einen Trost, durch den sich viele fromme Christen beschwichtigen in solchem 
Falle, den auch mir schon mancher liebe, freundliche Mund in diesen Tagen zuge— 
rufen hat, und der um so weniger zu übersehen ist, als er von einer richtigen 
Schätzung der menschlichen Schwachheit ausgeht; es ist nämlich der, daß Kinder, 
die jung hinweggenommen werden, doch allen Gefahren und Versuchungen dieses 
Lebens entrückt und zeitig in den sicheren Hafen gerettet sind. Diese Gefahren 
waren auch gewiß dem Knaben nicht ganz erspart; aber doch will dieser Trost nicht 
recht bei mir haften, wie ich bin. Wie ich diese Welt immer ansehe, als die, 
welche durch das Leben des Erlösers verherrlicht und durch die Wirksamkeit seines 
Geistes zu immer unaufhaltsam weiterer Entwickelung alles Guten und Göttlichen 
geheiligt ist; wie ich immer nur habe sein wollen ein Diener des göttlichen Wortes 
in freudigem Geist und Sinn: warum denn hätte ich nicht glauben sollen, daß der 
Segen der christlichen Gemeinschaft sich auch an ihm bewähren würde, und daß durch 
christliche Erziehung ein unvergänglicher Same in ihm wäre niedergelegt worden? 
Warum sollte ich nicht auch für ihn selbst, wenn er strauchelte, auf die gnädige 
Bewahrung Gottes hoffen? warum nicht fest vertrauen, daß nichts ihn werde aus 
der Hand des Herrn und Heilandes reißen können, dem er ja geweiht war, und 
den er auch aus kindlichem Herzen schon angefangen hatte zu lieben, wie denn noch 
eine seiner letzten besonnenen ÄAußerungen in den Tagen der Krankheit eine freund— 
liche Bejahung war auf die Frage der Mutter, ob er auch seinen Heiland recht liebe. — 
Und diese Liebe, wäre sie auch nicht gleichmäßig fortgeschritten, hätte sie auch bei 
ihm ihre Störungen erfahren: warum sollte ich doch nicht glauben, daß sie ihm 
nie würde verloschen sein, daß sie ihn doch dereinst würde ganz beherrscht haben? Und 
wie ich Muth gehabt hätte, das alles mit ihm durchzuleben, ihn dabei zu ermahnen, 
zu trösten, zu leiten: so ist mir jene Betrachtung nicht so tröstlich, wie vielen an— 
deren. Auf andere Weise schöpfen viele Trauernde ihren Trost aus einer Fülle rei— 
zender Bilder, in denen sie sich die fortbestehende Gemeinschaft der Vorange— 
gzangenen und Zurückgebliebenen darstellen, und je mehr diese die Seele erfüllen, 
um desto mehr müssen alle Schmerzen über den Tod gestillt werden. Aber dem 
Manne, der zu sehr an die Strenge und Schärfe des Gedankens gewöhnt ist, lassen 
diese Bilder tausend unbeantwortete Fragen zurück und verlieren daduͤrch gar viel 
von ihrer tröstenden Kraft. So stehe ich denn hier mit meinem Troste und meiner 
Hoffnung allein auf dem bescheidenen, aber doch so reichen Worte der Schrift: „Es 
ist noch nicht erschienen, was wir sein werden; wenn es aber erscheinen wird,
	        
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