Full text: [Teil 3, [Schülerband]] (Teil 3, [Schülerband])

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War ganz recht. Wenn man von einem Freunde borgt, so muß man 
sprechen wie der Herr Tomm; und wenn man einem Freunde aus 
der Not hilft, so muß man sprechen wie der Herr Grell. 
57. Warm muß ich werden. 
Kommt einmal gegen Abend in eine Stadt in Deutschland ein 
Fremder mit Extrapost an und verlangt Pferde, um weiterzufahren. 
Ein baumstarker Postillon spannt an und fährt mit dem fremden 
Herrn ab. Als sie in den zwei Stunden langen Wald kamen, fängt 
es an Nacht zu werden. Es ist, als ob die Pferde selber eine beson⸗ 
dere Unruhe verspürten; sie liefen, daß man glaubte, die Stücke fliegen 
davon. Plötzlich wurden sie aber angehalten, drei Räuber überfallen 
den Wagen und verlangen von dem Reisenden, er solle ihnen alles, 
was er habe, freiwillig geben, sie wollten ihn zwingen, daß er keine 
Einsprache mehr machen koͤnne. Der Bedrängte ruft nun den Postillon 
zu Hilfe. Dieser aber sitzt ruhig auf dem Bocke und schmaucht be— 
haglich seine Pfeife, als ob ihn die ganze Geschichte nichts anginge. 
Was wollte also der Fremde tun? Er steigt aus und muß zusehen, 
wie ihm die Räuber alles was er an Geld und Geldeswert hat, 
wegnehmen. Als nun endlich die Platte reingeputzt ist, sagte der 
Fremde: „Mit Verlaub, ihr Männer, ich hätte noch eine Bitte, daß 
ihr mir einen Dienst erweiset; ich will's nicht umsonst. In meiner 
Kutsche ist noch eine verborgene Kiste mit fünfhundert Talern, die 
sollt ihr haben, wenn ihr mir da oben den Postillon herunternehmt 
und tüchtig durchwalkt.“ 
Zu einem so ehrlichen Verdienst lassen sich die Räuber nicht 
zweimal auffordern. Sie reißen den Postillon herunter und trommeln 
tüchtig auf ihn los. Eine Weile läßt er alles mit sich machen. End— 
lich hebt er die Achseln und sagt: „Jetzt ist's genug.“ Eben gerade 
als seine Peiniger daran sind, ihn ganz niederzuwerfen. Nun kehrt 
er den Stiel um, packt den einen hüben und den andern drüben und 
schlägt sie so aufeinander, daß ihnen das Herz im Leibe zittert und 
sie umfallen, wie die Mücken im Herbst. Jetzt kniet mein Postillon 
auf sie hin, und gibt ihnen das Draufgeld samt Zinsen wieder zu⸗ 
rück. Als das der Fremde merkt, gewinnt er Mut und macht es 
mit seiner Leibwache ebenso. Mit Hilfe herzugekommener Leute gelingt 
es dann, die Räuber zu binden und nach der Stadt zu bringen. 
Unterwegs sagt der Fremde zu dem Postillon: „Aber hoͤr' einmal, 
du bist ein sonderbarer Heiliger: Warum bist du denn so ruhig ge— 
wesen, und hast mir nicht geholfen, und hast dich zuerst prügeln lässen?“ 
„Warm muß ich werden!“ antwortete der Postillon, „wenn ich 
meine tüchtige Tracht Prügel habe, dann weiß ich erst, was ich bin, 
dann kann ich erst recht tapfer um mich hauen.“
	        
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