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4. Der Sommermorgen.
Die Natur feiert an jedem Sommermorgen ein Fest ihrer eigenen
Schönheit, und selbst den rohen Wilden erschüttert die Gewalt dieser
göttlichen Erscheinung.
Die Nacht hat ihr erquickendes Werk vollbracht; sie hat dem
Müden neue Kräft, sie hat dem Kranken balsamischen Schlummer,
dem Unglücklichen Träume des Trostes gegeben. Nahe ist die Stunde
des Erwachens aller. Schon umschwimmt eine blasse Dämmerung
die Hügel und Wälder; Hütten und Gebüsche treten schon verworren
und klarer aus den geheimen Finsternissen, und silberweiße Nebel
lagern auf den Wiesen und über den Flüssen enger zusammengedrängt.
Zu den Wolken des Himmels steigt singend die Lerche, um den wer—
denden Tag zu begrüßen; aus der Ferne herüber tönt des Hahnes
Krähen und verkündet den anbrechenden Morgen. Kalt und düuüͤster
schweben wie riesenhafte Schatten am Rande des Gesichtskreises die
hohen Gebirge.
Immer heller glänzen die Farben der nahen Gegenstände. Der
Morgenstern funkelt blaß über Gewölbe nieder, deren Saum sich in
der Tiefe entzündet und mit dunkler Glut über die Fluren leuchtet.
Ein goldenes Feuer strömt durch den ganzen Himmel herauf, es wird
gewaltiger von Augenblick zu Augenblick. Die Gipfel der Berge
lodern wie Flammen auf Opferaltären; Verklärung umfließt die Haine
und Höhen, und selbst die Wolken des Abends leuchten herrlich zurück.
Die Vögel in den Gebüschen erwachen und entflattern ihren Nestern;
die Herden werden rege; der tätige Landmann tritt vor die Hütte
in die Wohlgerüche der blumenreichen Flur hinaus. Aber tiefe Stille
waltet noch immer in der Welt, und wie in großer Erwartung liegt
alles lauschend da.
Und ein kühler Hauch von Morgen her durchschauert alle Wesen,
durchbebt die bluͤhenden Zweige des Baumes, und die Blumen des
Feldes zittern darin. Die Gebirge erglänzen. Wie schimmernde Rauch—
säulen wälzen sich plötzlich die Nebel von Wiesen und Strömen gen
Himmel empor. Es rauscht freudiger die Welle des Bachs; die Luͤfte
ertönen vom Gesange mannigfaltiger Vögel; frohes Leben rauscht in
Dörfern und Städten — die ganze Erde jauchzt, der ganze Himmel
flammt — die Sonne ist aufgegangen! O, welch ein Gewühl von
reizenden Farben und Tönen! Welch ein begeisterndes Schauspiel,
diese Weltschöpfung aus dem Leeren und Wüsten der Nacht! Gottes
Tempel ist aufgeschlossen. Die Sonne hat den heiligen Vorhang hin—
weggezogen von der Herrlichkeit der Schöpfung. Der Erdbäll ist ein
einziger Altar. Alles, was Odem hat, preiset durch freudiges Gefühl
den verborgenen Vater, den so viel Glanz umhüllt. Der Morgen—
verschwindet, um anderen Welten die Macht des Schöpfers zu
preisen.