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Drei Tage und drei Nächte blieb Chriemhild bei ihm. Als
darauf Siegfried zu Grabe getragen wurde, ließ Chriemhild den Sarg
wieder aufbrechen, erhob noch einmal sein schönes Haupt mit ihrer
weißen Hand, küßte den Toten und ihre lichten Augen weinten Blut.
Dann saß sie jahrelang in tiefstem Schmerz, mit Gunther redete
sie kein Wort, Hagen sah sie niemals. Gernot und Giselher brachten
sie endlich dahin, daß sie Gunther wieder grüßte; dann wurde sie
beredet, den Hort, ihre Morgengabe von Siegfried, herführen zu lassen.
Aber Hagen, welcher fürchtete, sie werde durch die Schätze zu großen
Anhang gewinnen, versenkte ihn im Rhein.
II. Der Nibelungen Not.
Dreizehn Jahre hatte Chriemhild im Witwentum gelebt. Da
starb Frau Helke, des gewaltigen Hunnenkönigs Etzel Gemahlin. Ihm
wurde geraten, um die edle Chriemhild zu werben, und er sandte nach
ihr den Markgrafen Rüdiger mit großem Geleite. Den Königen zu
Worms war die Werbung willkommen; aber Hagen widerriet. Chriem—
hild selbst widerstrebte lange: Weinen gezieme ihr und anderes nicht.
Erst als Rüdiger heimlich mit ihr sprach und ihr schwur, mit allen
seinen Mannen jedes Leid, das ihr widerfahren, zu rächen, hoffte sie noch
Rache für Siegfrieds Tod und reichte ihre Hand dar. Sie fuhr mit dem
Boten hin über Passau gen Wien; dort wurde die Hochzeit gefeiert.
Aber in dreizehn Jahren ihrer Ehe vergaß sie nicht ihres
Leides; allezeit dachte sie, wie sie es räche. Sie bewog ihren Ge—
mahl, ihre Brüder zu einem Fest auf nächste Sonnenwende herzu—
locken; den Boten empfahl sie, daß Hagen nicht zurückbleibe, der
allein der Wege kundig sei. König Gunther besprach sich mit seinen
Brüdern und Mannen über die Botschaft. Hagen, des Mordes ein—
gedenk, riet ab von der Reise; als aber die anderen ihn der Furcht
ziehen, schloß er zürnend sich an, riet jedoch mit Heereskraft auszu—
fahren. Mit mehr als tausend Mann zogen nun die Könige durch
Ostfranken zur Donau, zuvorderst ritt Hagen. Über Passau kamen
sie auf Rüdigers Mark und erfuhren zu Pechlarn die Gastfreiheit des
Markgrafen und seiner Hausfrau. Dietelinde, die schöne Tochter des
Hauses, ward Giselher verlobt; auch keiner der andern ging unbe—
schenkt hinweg; König Gunther empfing ein Waffengewand, Gernot
ein Schwert, Hagen einen kostbaren Schild. Rüdiger selbst begleitete
die Helden zum Feste. Dietrich von Bern, der bei den Hunnen lebte,
ritt mit seinen Mannen den Gästen entgegen; aber er warnte sie, da
die Königin noch jeden Morgen um Siegfried weine.
Als die Burgunder zu Hofe ritten, fragte jedermann nach Hagen,
der den starken Siegfried schlug. Der Held war wohl gewachsen, von
breiter Brust und langen Beinen; die Haare grau gemischt, schrecklich der
Blick, herrlich der Gang. Er nahm sich nun Volker zum Heergesellen.
Sie zwei allein gingen über den Hof und setzten sich Chriemhilds Saal