361
—
bisherigen Lebens offener Ungehorsam, Auflehnung des Soldaten gegen
den Kriegsherrn, Verführung der Armee. Und doch erschien das alles
unter der ungeheuren Wucht der Ereignisse als leere Formsache. Auch
der König sah ja im Grunde der Seele in Napoleon nur seinen
Feind, es galt die Rettung oder das Verderben des Vaterlandes, jetzt
oder nie. Eine Fügung Gottes, daß ein Mann wie dieser gerade
an dieser Stelle stand, als ewiges Denkzeichen, daß für den sittlichen
Menschen damals keine Wahl blieb. York faßte plötzlich, als die
Russen schon an ihm verzweifelten, seinen Entschluß. Er schrieb dem
Könige: Ich lege mein Haupt Euer Majestät zu Füßen und bin
bereit, mein ungesetzliches Verfahren auf dem Sandberge zu büßen.
Aber er zeichnete am 30. Dezember 1812 die Konvention von Tau—
roggen, wodurch er sich und seine Truppen von den Franzosen trennte
und trotz des französisch-preußischen Bündnisses neutral stellte.
Der Eindruck dieser Tat ging wie ein Erdbeben durch Deutsch—
land und Europa. Napoleon erkannte, daß es keine Tat militärischer
Rebellion, sondern der Beginn eines unabsehbaren Volkskrieges waär.
Der König von Preußen war wie vom Donner gerührt, zunächst
erbittert über Yorks Eigenmächtigkeit: ja er verfügte gegen ihn Ab—
setzung und Kriegsgericht. Aber die russischen Vorposten ließen davon
keine Nachricht an ihn selbst gelangen. In Ostpreußen aber war
durch Yorks Entschluß alles verwandelt. Ganz von selbst kamen die
Russen über die Grenze; York, strenger und verschlossener als je,
wurde in Königsberg mit unendlichem Jubel empfangen; durch die
ganze Provinz tönte sein „etzt oder niemals“ in allen Herzen wieder.
Einige Wochen verlegener Spannung hatte man noch durchzu—
machen, so lange die Beistimmung des Königs noch nicht ausgesprochen
war. Indessen pflanzte sich die Erhebung und Begeisterung der Ge—
müter unaufhaltsam durch die Lande fort; auch der König vermochte
ihr nicht mehr lange zu widerstehen. Er war freilich durch die Wucht
seines Unglücks in Kraft und Vertrauen geknickt, vollends seit dem
Tode der Königin Luise, die recht eigentlich an dem Sturz ihres
Landes dahingeschwunden war. Er hatte nicht den Mut, an sich
und an sein Volk zu glauben: aber wie gern ließ er sich doch durch
Scharnhorsts schöne und warme Ruhe überreden! Am 22. Januar
1813 entschloß er sich, Berlin wegen der Nähe der Franzosen zu ver—
lassen und seine Residenz in das freie Breslau zu verlegen. Am 3.
Februar erschien ein königlicher Aufruf, welcher alle jungen Männer
von 17 bis 24 Jahren, die nicht bei dem Heere wären, einlud, als
freiwillige Jäger die Waffen zu ergreifen. Die Wirkung war wie
der Funke in einer weitverzweigten, überall geladenen Mine. Nach
wenigen Tagen war es auch dem Blödesten deutlich, daß hier kein
Zurückgehen, kein Halten möglich war. Wenige Wochen vergingen,
da schloß der König das Bündnis mit Rußland. Am 16. März
folgte die Kriegserklärung gegen Frankreich, am 17. das Gesetz über