484
dem verderbenden Streite der beiden Königinnen Kriemhilde und
Brunhilde; sie sangen von den wundersamen Abenteuern der Hel—
den Karls des Großen. Andere priesen im Liede die Frühlings—
lust im blühenden Mai und die Freude des Mannes am rühmlichen
Streite. Hier fesselten Seiltänzer und Gaukler die Schaulust der
Menge, dort erregten die Späße von Zwergen und Narren unbän—
diges Gelächter. An andern Orten ergötzte man sich im Grünen
am Tanze; in langer Kette bewegten sich da Männer und Frauen,
einander paarweise an der Hand haltend, dahin und ahmten zier—
lich die künstlich abgemessenen Schritte und Stellungen des Vor—
tänzers an der Spitze nach. Anderswo wurde geschmaust; unauf—
hörlich kreiste der Becher mit dem süßen Wein und die Kanne mit
dem schäumenden Honigbier. Überall herrschten Lust und Fröhlich—
keit. Seinen Höhepunkt erreichte das Fest, als der Kaiser seinen
Söhnen Heinrich und Friedrich den Ritterschlag erteilte.
Die ganze Nacht hatten die beiden Jünglinge, von denen der
ältere vielleicht 20 Jahre alt war, in der Kapelle zugebracht; durch
Gebet sollten sie sich hier in würdiger Weise auf den Ritterschlag
vorbereiten. Am Morgen hatten ihnen Knappen und Pagen die
Ritterkleidung angelegt. Über das eng anliegende Ledergewand
zogen sie die Rüstung aus feinem Drahtgeflecht, das sich biegsam
dem Körper anschmiegte. Brust und Rücken umhüllte ihnen darüber
der bunte Wappenrock, der mit dem kaiserlichen Wappentier, dem
schwarzen Adler, vielfach geziert war. Goldene Sporen schnallten
sie ihnen an und setzten ihnen den ehernen Helm aufs Haupt.
Dann ergriffen die Jünglinge die gewölbten Schilde aus festem
Stahl, die von goldenen Zieraten erglänzten, und die langen Lan—
zen aus Eschenholz. Vor der Kapelle schwangen sie sich auf die
prächtigen Streitrosse und sprengten zu dem großen freien Platze
hin, wo alle ihrer harrten. Auf hohen Holzgerüsten saßen da in
voller Erwartung die Vornehmen, Männer und Frauen; Schranken
aus Holz hielten die Menge ab, die nach Tausenden zählte. An
der Seite seiner Gemahlin sah der Kaiser den ritterlichen Künsten
seiner Söhne zu, die sie vor allen Zuschauern an den Tag legten.
Dann stieg er hinunter in die Mitte des von den Schranken um—
zäunten Raumes. Nachdem seine Söhne feierlich versprochen hatten,
als Ritter die Schwachen zu beschirmen, die Waisen zu schützen,
den christlichen Glauben zu verteidigen, erteilte er ihnen den Ritter—
schlag. Mit der flachen Schwertklinge schlug er jedem dreimal quer
über die Schultern und sprach zuletzt dabei: „Dies sei der letzte
Schlag, den du empfängst, ohne ihn zu erwidern und zu vergelten.“
Darauf gürtete er sie selbst mit dem Schwerte, auf daß sie nun—