Full text: [Teil 2, [Schülerband]] (Teil 2, [Schülerband])

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Viele unserer jungen Herren haben's in dieser Kunst auch noch nicht 
weit gebracht, wie ich merke. Mancher,- wenn er in Gesellschaft kommt, 
weiß nicht, wohin er mit Armen und Beinen soll, und man sieht's ihm 
an, er hätte sie lieber daheim gelassen. Mancher weiß nicht, wo er die 
Hände einquartieren soll; bald steckt er sie in die Weste, bald gar in 
die Hosen, bald kratzt er sich damit zur Abwechslung im Nacken. Ich 
bitte dich daher, meine Geschichte und mein Unglück für andere bekannt 
zu machen; denn manches böse Schicksal habe ich mir durch meine Un- 
beholfenheit zugezogen. 
Sobald meine Base Sparhafen gestorben und ich als ihr einziger 
Erbe ziemlich vermögend geworden war, wollte man mir in meinem 
dreißigsten Jahre ein Mädchen zur Frau geben, das schön war, haus¬ 
wirtlich, tugendhaft, freundlich und vermögend. Jungfer Bärbeli gefiel 
mir; die Sache sollte in Richtigkeit gebracht werden; ich sollte Jungfer 
Bärbeli näher kennen lernen; ich ward von ihrem Vetter zu Gast ge¬ 
laden, wo ich sie finden sollte. Ich ging nicht gern in große Gesell¬ 
schaft, weil ich durch üble Erziehung scheu und schüchtern war. Aber 
was tut man nicht einer Jungfer Bärbeli zu Gefallen! Ich kleidete 
mich in sonntägliche Feierkleider; weiße, seidene Strümpfe, ein neuer 
Haarbeutel, ein apfelgrüner Rock mit Perlmntterknöpfen — genug, ich 
war zierlich wie ein Bräutigam. Als ich aber vor das Haus des Herrn 
Vetters kam, klopfte mir das Herz vor Angst, als hätte ich eine 
Schmiede in meiner Brust. Wenn nur keine große Gesellschaft da ist! 
dachte ich. Wenn's nur erst vorbei wäre! Zum Glück traf ich den 
Herrn Vetter allein. Er schrieb noch eine Rechnung in seiner Stube. 
„Ihr kommt ziemlich spät, Herr Stolprian!" sagte er. Ich machte 
zwanzig Kratzfüße links und rechts, lachte vor Angst, um freundlich aus¬ 
zusehen, und hatte nur immer die große Gesellschaft im Kopfe. Indem 
der Herr Vetter die Rechnung fertig hat und den Streusand sucht, 
springe ich gar dienstfertig hinzu, will den Sand aufs Papier streuen, 
greife ungeschickterweise das Tintenfaß statt des Sandfasses und schütte 
ihm einen schwarzen Strom der besten Tinte über das zierliche Konto. 
— Ich glaubte, ich müßte in Ohnmacht fallen vor Schrecken, nahm in 
der Verwirrung und Eile mein schneeweißes Schnupftuch aus der Rock¬ 
tasche und wischte damit auf. 
„Ei behüte, was treibt Ihr auch, Herr Stolprian!" rief mir der 
Herr Vetter lachend zu, drängte mich mit meinem schwarz und weißen 
Schnupftuche zurück und brachte seine Sache in Ordnung. Dann führte 
er mich in die Stube, wo die Gesellschaft schon beisammen war. Ich 
folgte ihm nach, hatte aber schon kein gut Gewissen und bemerkte beim 
Niedersehen nicht ohne Entsetzen einen talergroßen Tintenfleck auf 
meinem weißen Seidenstrumpfe am linken Beine. — Hilf, Himmel! 
seufzte ich bei mir; was wird die große Gesellschaft sagen? Die Tür
	        
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