175 —
Plötzlich ein Licht, so blendend, daß es zwang, die Angen zn schließen;
ein knrzer, markerschütternder Krach, der in mißtönendem Knattern endete.
„Das hat eingeschlagen!" rief der Professor besorgt. „Nicht in den Hof",
versetzte das Mädchen nnbeweglich. Wieder ein Schlag nnd wieder ein
Feuerschein nnd ein Schlag, wilder, knrzer, scharfer. „Es schwebt über
nns", sagte Ilse rnhig und drückte das Haupt des kleinen Bruders an
sich, als wollte sie ihn schützen. Hoch aufgerichtet, nnbeweglich stand sie
da, umringt von, den angstvollen Geschwistern. Länger dröhnte der
Donner, der Regen schlug an das Fenster, ein Wassergnß rasselte und
klatschte um das Hans. Die Fenster zitterten in dem wütenden Anprall
des Sturmes. „Es ist vorüber", sagte die Jungfrau leise. Die Kinder
fuhren auseinander und liefen an das Fenster.
5. Eine halbe Stunde später war alles vorüber. Über den Bergen
lag noch die dunkle Wolke, und ans der Ferne tönte gefahrlos der Donner.
In dem leeren Hofe regte sich wieder das Leben. Zuerst zog in fröh¬
lichem Eifer der Entenchor ans seinem Versteck, putzte die Federn, unter¬
suchte die Wasserlachen und schnatterte längs den Wagengeleisen. Dann
kam der Hahn mit seinen Hühnern, vorsichtig schreitend und die quellenden
Körner pickend. Die Tauben flogen an die Vorsprünge der Fenster, wünschten
einander mit Verbeugungen Glück und breiteten die Federn im neuen
Sonnenlicht aus. Nero fuhr in kühnem Sprung ans dem Hanse, trottete
durch den Hof und bellte herausfordernd in die Luft, um die feindliche
Wolke vollends zu verscheuchen. Dann schritten die Mägde und Arbeiter
wieder rührig über den Platz und atmeten erfrischt den Balsam der
feuchten Luft. Der Hofverwalter kam nnt> berichtete, daß es zweimal in
den Berg nebenan eingeschlagen habe. Auch der Landwirt ritt in starkem
Trabe herein, tüchtig durchnäßt, um git sehen, ob Hans und Hof ihm
unversehrt geblieben. Er sprang fröhlich vom Pferde und rief: „Es hat
draußen eingeweicht; aber gottlob! daß es so vorübergegangen ist. Solch
Wetter ist seit Jahren hier nicht erlebt worden."
Gustav Frcyrag. <Die verlorene Handschrift.)■
15. Aus dem „Lied von der Glocke".
Der Mann muß hinaus
ins feindliche Leben,
muß wirken und streben
und pflanzen und schaffen,
5 erlisten, erraffen,
muß wetten und wagen,
das Glück zu erjagen.
I.
Da strömet herbei die unendliche
Gabe,
es füllt sich der Speicher mit köst¬
licher Habe;
io die Räume wachsen, es dehnt sich
das Haus.
Und drinnen waltet
die züchtige Hausfrau,
die Mutter der Minder,