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11. So mög' auch Gott, der all¬
mächtige Hort,
der das Flehen der Schwachen erhöret,
zu Ehren Euch bringen hier und dort,
so wie Ihr jetzt ihn geehret.
Ihr seid ein mächtiger Graf, bekannt
durch ritterlich Walten im Schweizer¬
land,
Euch blühen sechs liebliche Töchter.
So mögen sie, rief er begeistert aus,
sechs Kronen Euch bringen in Euer Haus,
und glänzen die spätsten Geschlechter!"
12. Und mit sinnendem Haupt saß
der Kaiser da,
als dächt' er vergangener Zeiten;
jetzt, da er dem Sänger ins Auge sah,
da ergreift ihn der Worte Bedeuten. 5
Die Züge des Priesters erkennt er schnell
und verbirgt der Thränen stürzenden
Quell
in des Mantels purpurnen Falten.
Und alles blickte den Kaiser an 10
und erkannte den Grafen, der das gethan,
und verehrte das göttliche Walten.
Friedr. v. Schiller.
288. Die deutschen Städte im Mittelalter.
1. Wer am Morgen zum Thore der Stadt hineinzog, begegnete dem 15
Stadtvieh, denn der Bürger trieb auch Landbau; selbst die vornehmen
Häuser hatten im engen Hofraume Viehställe. Schweme liefen in den
Straßen umher und fuhren auch wohl in die Häuser hinein, ihre
unsaubere Nahrung zu suchen; auf abgelegenen Plätzen lagerten große
Düngerhaufen. Die Hauptstraßen der vornehmsten Städte waren hier 20
und da gepflastert; aber selbst in Frankfurt wurden noch um 1400 die
Hauptwege nur durch Sand und kleine Steine gebessert, und für die
Ratsherren war es eine genügende Entschuldigung ihres Ausbleibens bei
Versammlungen, daß der Straßenschmutz zu arg sei. Wer bei schlechtem
Wetter ausging, benutzte schwere Holzschuhe; von den Ratsherren wurde 25
gefordert, daß sie diese vor der Sitzung auszogen.
2. Auf den Straßen fand man häufig Brunnen mit Rolle, Kette
und Eimer; die Bäche leitete man gerne an der hintern Seite der Höfe
entlang. Wo es laufende Brunnen gab, standen Schöpftröge von Stein
oder Metall daneben und an passenden Stellen gefüllte Wasserbehälter 30
für den Fall einer Feuersgesahr.
An den engen, gewundenen Straßen standen die von Fachwerk
erbauten und mit Stroh gedeckten kleinen Häuser, mit dem Giebel der
Straße zugekehrt, häufig mit einer quergeteilten Hausthür versehen,
so daß der Besitzer sich über die untere Hälfte hinauslehnen konnte..35
Die Häuser stiegen nicht senkrecht in die Hiche, sondern der Oberstock/
sprang über den untern vor /und der zweite/über den ersten, so daß
die Beleuchtüng der Zimmer oft sehr beeinträchtigt ward. Die Straßen¬
wand der vorspringenden obern Stockwerke ward auch wohl durch
Pfeiler gestützt, so daß zwischen diesen und dem eingerückten Erdgeschosse 40
ein bedeckter Gang, eine Laube, sich befand.
3. Mit dem wachsenden Wohlstände aber und mit der schnellen
Entwickelung aller Künste, die mit dem Handwerke in Verbindung
standen, gewann auch das Wohnhaus an Ausdehnung und Behaglichkeit.
In der Reihenfolge der Geschlechter ward es allmählich ein andres und 45
blieb doch dasselbe; denn der Enkel baute mit sorgsamer Schonung das