Full text: [Teil 2 = Oberstufe, [Schülerband]] (Teil 2 = Oberstufe, [Schülerband])

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Gott wieder in ihm zu erwecken. Und die Sonne schien nun noch freund¬ 
licher in die Stube auf das Antlitz zufriedener Menschen, und die Lüfte 
wehten erquicklicher, um die Wangen, und die Vogel jubilierten noch 
lauter und stimmten ein in den Dank ihrer Herzen gegen Gott. 
5 Ludw. Aurbacher. 
25. Wann die Not am grössten, ist Gott am nächsten. 
1. Das Handelshaus Gruit van Steen war zu Anfang des siebzehnten 
Jahrhunderts eins der angesehensten und reichsten in Hamburg. 
Aber der verheerende dreissigjährige Krieg machte seine traurigen 
10 Folgen zuletzt auch ihm fühlbar, und zwar um so mehr, je ausge¬ 
breiteter die Geschäfte des Hauses früher gewesen waren. Städte 
und Dörfer waren zu Hunderten verheert und verlassen, und bei der 
Unsicherheit der Strassen war es kein Wunder, dass der Handel 
stockte und vorzüglich der Absatz in das Innere von Deutschland 
15 gering war. Ein Kaufmann nach dem andern ward unfähig zu 
zahlen und zog auch jenes Handelshaus in seine Verluste mit hinein. 
Dagegen wagte das grosse Seeschiff, das als sein Eigentum an der 
Mündung der Elbe lag, des Krieges wegen nicht auszulaufen, und die 
gangbarsten Waren mussten von Holländern zu ausserordentlich hohen 
20 Preisen aus der zweiten Hand erkauft werden. 
2. Hermann Gruit, der Besitzer der Handlung, safs mit dem alten 
Jansen, einem erfahrenen Diener des Hauses, um das Jahr 1638 in der 
Schreibstube und verglich mit ihm die grossen Bücher. „So thut es 
nicht länger gut,“ sagte dieser endlich, „wir müssen es anders an- 
25 fangen. Überlasst mir auf ein Jahr das Schiff und so viel Geld und 
Nürnberger Waren als möglich, und lasst mich damit selbst in die 
neue Welt (nach Amerika) segeln. Ihr wisst, ich bin in jüngern 
Jahren schon zweimal dort gewesen und verstehe das Geschäft; mit 
Gott wird es mir gelingen.“ 
30 Da standen die beiden Männer auf, gingen lange im Zimmer auf 
und ab und beratschlagten. Nachdem sie die mögliche Gefahr und den 
möglichen Vorteil auf das beste erwogen hatten, kamen sie dahin 
überein, dass Jansen reisen solle. Vier Wochen später schritt Herr 
van Steen in seinem Ratsherrngewande, den alten Buchhalter neben 
35 sich, dem Hafen zu, wo eine grosse Menschenmenge der Abfahrt des 
stattlichen Schiffes harrte. Einige Handelsfreunde traten freundlich 
grüfsend hinzu und wünschten, Herr Hermann möge bei dieser Aus¬ 
rüstung nicht zu viel gewagt haben. Aber Jansen antwortete: 
„Lasst es euch nicht anfechten, ihr Herren! Ich hoffe fest, wir 
40 sehen uns gesund und freudig wieder; denn ich traue auf das gute 
Sprichwort: Gott verlässt keinen Deutschen.“ 
Da donnerte der erste Signalschuss zur Abfahrt, und das Boot, 
das den alten Jansen zum Schiffe führen sollte, war eben gelandet. 
Noch einmal drückte er seinem Herrn die Hände; dann stieg er 
45 schnell ein und schiffte hinüber. Jetzt wurde der grosse Anker 
aufgewunden, der letzte Kanonenschuss ward gelöst, alle Wimpel
	        
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