Full text: Lesebuch für die Mittelstufe der evangelischen Volksschulen des Herzogtums Oldenburg

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ein rechtes Höllenfeuer angemacht, daß die schöne, junge Königin 
bald ersticken mußte. 
Als das vollbracht war, nahm die Alte ihre Tochter, setzte ihr 
eine Haube auf und legte sie ins Bett an der Königin Stelle. Sie 
gab ihr auch die Gestalt und das Ansehen der Königin, nur das 
derlorene Auge konnte sie ihr nicht wiedergeben. Damit es aber 
der König nicht merkte, mußte sie sich auf die Seite legen, wo sie 
kein Auge hatte. Am Abend, als er heimkam und hörte, daß ihm 
ein Söhnlein geboren war, freute er sich herzlich und wollte ans 
Bett seiner lieben Frau gehen und sehen, was sie machte. Da rief 
die Alite geschwind: „Beileibe, laßt die Vorhänge zu, die Königin 
darf noch nicht ins Licht sehen und muß Ruhe haben.“ Der König 
ging zurück und wußte nicht, daß eine falsche Königin im Bette lag. 
Als es aber Mitternacht war und alles schlief, da sah die 
Kinderfrau, die in der Kinderstube neben der Wiege saß und allein 
noch wachte, wie die Tür aufging und die rechte Königin hereintrat. 
Sie nahm das Kind aus der Wiege, legte es in ihren Arm und 
gab ihm zu trinken. Dann schüttelte sie ihm sein Kißchen, legte es 
wieder hinein und deckte es mit dem Deckbettchen zu. Sie vergaß 
aber auch das Rehchen nicht, ging in die Ecke, wo es lag, und 
streichelte es über den Nücken. Darauf ging sie ganz stillschweigend 
wieder zur Tür hinaus, und die Kinderfrau fragte am andern 
Morgen die Wächter, ob jemand während der Nacht ins Schloß 
gegangen wäre; aber sie anworteten: „Nein, wir haben niemand 
gefehen.“ So kam sie viele Nächte und sprach niemals ein Wort 
dabei; die Kinderfrau sah sie immer; aber sie getraute sich nicht, 
jemand etwas davon zu sagen. 
Als nun so eine Zeit verflossen war, da hub die Königin in 
der Nacht an zu reden und sprach: 
„Was macht mein Kind? was macht mein Reh? 
Nun komm' ich noch zweimal und dann nimmermehr.“ 
Die Kinderfrau antwortete ihr nicht; aber als sie wieder verschwunden 
war, ging fie zum König und erzählte ihm alles. Da sprach der 
König: „Ach Gott, was ist das! Ich will in der nächsten Nacht 
bei dem Kinde wachen.“ Abends ging er in die Kinderstube; aber 
um Mitternacht erschien die Königin wieder und sprach: 
„Was macht mein Kind? was macht mein Reh? 
Nun komm' ich noch einmal und dann nimmermehr.“ 
Und pflegte dann des Kindes, wie sie gewöhnlich tat, ehe sie ver⸗ 
schwaub Der Koönig getraute sich nicht, sie anzureden, abber er 
wachte auch in der folgenden Nacht. Sie sprach abermals: 
„Was macht mein Kind? was macht mein Reh? 
Nun komm' ich noch diesmal und dann nimmermehr.“
	        
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