Full text: Lesebuch für die Oberklassen katholischer Volksschulen des Regierungsbezirks Düsseldorf

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bewahrte Geheimnis der Sepdelmannschen Fabrik geblieben; denn außer 
dem Besitzer der Fabrik kannte dies Geheimnis nur noch ein einziger 
alter Arbeiter, der in einem verschlossenen Raume die Mischungen vor¬ 
nahm. Dieser Arbeiter war nun vor acht Tagen einer jähen Krank¬ 
heit erlegen, und Robert Schaller war an seine Stelle getreten. 
„Und wie mir am vorigen Samstag der Herr alles gesagt hat, 
was ich zu meiner neuen Rrbeit hab' wissen müssen, hat er kein ver¬ 
sprechen, kein Wort und keinen Schwur von mir verlangt. „Sie sind 
ein braver, tüchtiger Mensch, ich habe vertrauen zu Ihnen, und ich 
weiß, daß Sie meine gute Meinung nicht täuschen werden!" — Das 
war alles, was er gesagt hat. Kaum acht Tag' sind's her, seit ich 
von der Zchmelzerei ins Laboratorium gekommen bin — und jetzt hat 
sich heut schon der Kerl da an mich angehastelt und hat gemeint, er 
braucht nur seine Vrieftasch' auszumachen, daß ich meine Ehr' hinein¬ 
fallen lass' zwischen seine hundertguldenzettel." 
Rufatmend schwieg er. Seine junge Frau erwiderte kein Wort. 
Sie stand auf einem Stuhl und klebte die bunten Kerzlein aus die 
obersten Zweige des Baumes. Dabei zitterten ihre Hände — und nach 
einer stummen weile fuhr es ihr plötzlich heraus: „Robertl! wenn du 
zu einer solchen Schlechtigkeit hätt'st ja sagen können — der liebe Gott 
soll mir Helsen, aber, ich glaub', da wär's aus gewesen mit meiner Lieb'." 
Er nickte nur, als hätte sie etwas Selbstverständliches gesagt. 
Run sprang sie vom Stuhl, und die Kerzen wurden angezündet. 
Robert öffnete die verschlossene Tür, der Großmutter voran stürmten 
die drei „wilden" herein, und lachende, jauchzende Freude füllte die 
Stube, die vor wenigen Minuten noch so ernste Worte gehört hatte. 
„Kinder! Kinder! her zu mir!" rief der junge Vater. Mit 
beiden Rrmen raffte er die drei Knirpse zusammen, und während er 
sie so eng an seine Brust drückte, daß sie lange Gesichter schnitten, 
schaute er über ihre Blondköpfe hinweg ins Leere und stammelte: 
„Der — der soll mir kommen — und soll mir so eine Freud' verderben 
wollen — so eine Freud'!" 
3. 
Da klang von draußen ein schrillender Glockenton in die Stube. 
Frau Schaller schaute ihren Mann erschrocken an — weshalb sie erschrak, 
das wußte sie selbst nicht — dann ging sie, um die Tür zu öffnen. Zwei 
Dienstmänner brachten einen großen Korb und schleppten ihn in die 
Stube, von wem er wäre, wüßten sie nicht; ein vornehmer Herr hätte 
sie geschickt und ließe ausrichten, daß er selbst nachkäme. 
Mit zitternden Händen schlug Frau Schaller den Deckel des Korbes 
in die höhe, und was da zum Vorschein kam, entlockte den drei Kinder¬ 
mäulchen ein staunendes, jubelndes Rh! Spielsachen, Backwerk, Kleider-
	        
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