Full text: Lesebuch für die Oberklassen katholischer Volksschulen des Regierungsbezirks Düsseldorf

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Der Meister ließ sich bereden. Schwer schlug ihm das Herz; 
krampfhaft drückte er die Krempe seines Hutes zusammen, als 
er nun die Tür des Kontors geöffnet und vor sich rechts und 
links an hohen Pulten ein Dutzend emsig arbeitender Kommis ge¬ 
wahrte. Er bot ihnen laut einen guten Tag. Keiner antwortete 
ihm. Er wiederholte nach einer Pause die Begrüßung, und mit 
einem scharfen Blick ihn messend, fragte der Nächstsitzende: „Was 
wollen Sie?" „Bitte untertänigst, ich möchte gern den Herrn 
sprechen." „Dort!" war die Weisung. Langsam und schwer schritt 
der Meister durch den Saal; es war ihm, als wenn Blei in seinen 
Füßen läge. Da saß der Kaufmann, die Stirne nachdenkend in die 
Hand gestützt, als der Meister, gegen die offene Tür des Gitters 
rennend, den Tiefsinnigen plötzlich aus seinen Gedanken riß. „Was 
wollen Sie?" Doch da war an keine Antwort zu denken. Alle von 
seiner klugen Frau ihm eingeprägten schönen Worte waren dahin. 
Er war wie versteinert. „Nun, was wollen Sie denn?" fragte der 
Herr den Sprachlosen und erkannte ihn nicht wieder. „Verzeihen 
Sie, mein Herr, ich war, ich bin, ich komme — der Schreiner¬ 
meister, der die große Ehre hatte, für Sie zu arbeiten." — „So, 
so, und? Ich habe jetzt nichts zu bestellen. Sie brauchen sich 
nicht zu bemühen; ich werde schon anschicken." „Ach," fing der 
zerschmetterte Handwerksmann an, „ich möchte Sie wohl bitten 
um den Betrag des Gelieferten. Ich habe kein Vermögen und 
habe das Geld zum Ankäufe des Holzes für die neuen Möbel 
leihen müssen, und —." Verdrießlich und mürrisch versetzte der 
Kaufmann: „Ich bezahle nur halbjährlich; auf andere Termine 
können wir uns nicht einlassen, das macht uns zuviel Umstände. 
Sie müssen keine Arbeit annehmen, wenn Sie nicht so lange warten 
können auf die Bezahlung." Damit winkte er einen: zunächst sitzen¬ 
den jungen Manne, daß den: Meister die Summe ausgezahlt werde. 
Stumm nahm der Meister das Geld in Empfang, und 
eine Träne fiel auf die Quittung. Der Kaufmann bemerkte sie. 
Stumm und niedergebeugt verneigte sich der Meister und ging- 
Als er die Hälfte des Zimmers durchschritten hatte, rief ihn der 
Kaufmann zurück. „Hören Sie einmal, Meister. Von den Stühlen 
können Sie mir noch ein Dutzend liefern, und ich habe auch in der 
nächsten Woche mehreres. Doch damit Sie mir in Zukunft nicht 
alle Augenblicke beschwerlich werden, will ich Ihnen Vorschuß geben- 
Zahlen Sie dem Manne noch 500 Mark!" sprach er zum Kassierer 
und blickte aufs Papier. 
Sprachlos stand der Meister da, im Innersten erschüttert; doch 
jetzt ging er rasch auf den Kaufmann zu, ergriff dessen Hand und
	        
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