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Regung der Hoffart und laß nicht die Eitelkeit Herrin über Dich
werden; sie würde Dich quälen mit nie zu befriedigenden Wünschen,
sie würde Dein armes Herz verzehren in bitterm Neid und Dir
so alle Zufriedenheit und alle Fröhlichkeit rauben. Du würdest ge¬
fallsüchtig, hochfahrend und prahlerisch werden, andere aus Mi߬
gunst verachten, häufig beleidigen und verletzen und so all Deine
Liebenswürdigkeit verlieren.
Mit der Eitelkeit geht die Naschhaftigkeit Hand in Hand.
Als Du noch klein warst, erhieltest Du zuweilen etwas zum Naschen
als Belohnung oder zur Ermunterung Deines Fleißes; jetzt, da Du
größer und verständiger geworden bist, darf Dich dergleichen nicht
wehr reizen. Bewahre Dir die Genügsamkeit wie in der Kleidung,
so auch in Speise und Trank. Es ist ein schlimmer Fehler, nasch¬
haft und wählerisch im Essen zu sein, bei Tische nicht den Hunger,
sondern nur die Gaumenlust befriedigen zu wollen, außer der Zeit
oder gar heimlich und verbotenerweise der Eßlnst zu frönen. Das
entwürdigt, führt zur Heuchelei und zum Lügen und würde Dich
schließlich zu einer unglücklichen Bettlerin, vielleicht sogar zu einer
verachteten Diebin machen.
Trotz der bescheidenen Verhältnisse, in denen Du Deine Kind¬
heit verlebt hast, bist Du reicher, als Du vielleicht denkst. Du
flehst in der schönen Zeit der Jugend; der liebe Gott hat Dir ge¬
sunde Arme und Hände zur Arbeit und einen klaren Kopf gegeben.
Das ist ein dreifaches Kapital, von dem Du mit Fleiß und Streb¬
samkeit hohe Zinsen erhalten wirst.
Das erste, die Zeit, ist von unschätzbarem Wert. Jede Stunde
ist kostbar. Du kannst sie benutzen, um zu arbeiten und zu lernen;
Du kannst sie aber auch vergeuden durch Tändeln oder Müßig¬
gehen. Die vergeudete Zeit kommt nie wieder. Möchte doch jeder
^tundenschlag der Hausuhr Dich mahnen an die Flüchtigkeit der
Zeit und Dich anspornen zum Fleiß!
Deine Gesundheit, Deine kräftigen Arme und gewandten
Hände, um die so viele kranke und schwache Mädchen Dich be¬
neiden, sind das zweite Kapital, das Gott Dir verliehen hat. Jetzt
schon bringt es Dir schöne Zinsen, da Du imstande bist, Dir das
tägliche Brot und die Kleidung selbst zu verdienen. Bei emsigem
Fleiß und steter Sparsamkeit wirst Du schon bald manch schönes
Stück Geld ansammeln können für Deine Zukunft. Doch nicht allein
uw des Geldes willen sollst Du fleißig sein; die Arbeit selber mußt
Du lieben. Eine rauhe Arbeitshand ist für ein Mädchen ein besse¬
rer Schmuck als goldene Ketten und glänzende Armbänder. Arbeit
wacht die Hände zwar rauh, aber die Seele froh und heiter.