Full text: Lesebuch für die Oberklassen katholischer Volksschulen des Regierungsbezirks Düsseldorf

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Nunmehr wird der Flachs gesponnen. Das Spinnen ist 
bMe Beschäftigung für die langen Winterabende. Um Holz 
Und Licht zu sparen, versammeln sich die Frauen und Mad¬ 
ien benachbarter Häuser in der sogenannten Spinnstube, jeden 
Abend in einer andern, bis alle an der Reihe waren. Bei An¬ 
bruch der Dunkelheit kommen sie mit dem Rade und einem 
Bündel Flachs. Im Kreise sitzend, spinnen sie um die Wette. 
Erzählungen und Sagen, Rätsel, Sprüche und Lieder kürzen die 
Arbeit. Auch die Großmutter ist in der Spinnstube anwesend; 
sie erzählt am schönsten, sie weiß viel Ernstes und Heiteres 
aus ihrer Jugendzeit. Sie hat auch bereits eine Erfrischung 
besorgt für die Pause, die um 8 Uhr gehalten wird. Die jün¬ 
geren Kinder des Hauses müssen das Garn von den Spulen 
abhaspeln. Sobald eine gewisse Zahl von Strängen erreicht 
ist, werden diese gewaschen, getrocknet und für den Web¬ 
stuhl vorbereitet. 
Der Webstuhl gehört zur Einrichtung eines ordentlichen 
Bauernhauses. Das Weben erlernen fast alle Jünglinge. Wochen- 
iang sitzt der Weber in der Kammer, der Webstuhl klappert, 
das Schifflein fliegt hin und her, nach langer Arbeit ist das 
Beinen fertig. 
Werden Flachs und Wolle miteinander verwebt, so erhält 
Ulan Tirtey, einen bei den Landleuten beliebten Stoff, der zu 
dauerhaften und warmen Kleidern verarbeitet wird. 
Wenn das Linnen vom Webstuhle kommt, hat es eine 
aschgraue Farbe. Deshalb muß es gebleicht werden. Aus Holz¬ 
asche, Soda und schwarzer Seife wird eine Lauge bereitet; dar¬ 
in wird es gekocht und dann an sonnigen Tagen im Frühjahr 
oder Vorsommer auf dem Rasen ausgebreitet und fleißig mit 
fließendem Wasser begossen. Ist das Leinen fünf- bis sechs¬ 
mal den Einwirkungen der scharfen Lauge und der Sonnen¬ 
strahlen ausgesetzt gewesen, so erlangt es allmählich eine 
glänzend weiße Farbe. 
Der Flachs erfordert viele Arbeit, ehe er dem Gebrauche 
der Menschen dienen kann. Dafür haben aber auch die dar¬ 
aus bereiteten Erzeugnisse einen hohen Wert, so daß es im 
volksmunde heißt: „Viel Leinen ist ein heimlicher Reichtum.“ 
Besuchen wir einmal eine Familie, in der Spinnrad und 
^ebstuhl noch in Ehren gehalten werden. Mit Freuden wird 
die Hausfrau uns ihr Leinen zeigen, auf das sie mit Recht 
stolz ist. Sie führt uns auf die Zimmer, wo die alten eichenen 
Schränke und Kisten stehen. Darin liegt geordnet, „was der
	        
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