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herbei. Das hatte der König selbst nicht erwartet. Als die ersten
80 Wagen mit Berliner Freiwilligen in Breslau ankamen und jubelnd
zu dem Fenster hinaufschauten, an dem der König mit Scharnhorst
stand, da konnte er sich der Thränen nicht enthalten.
Nun schloß der König ein Bündnis mit Kaiser Alexander von
Rußland zum gemeinsamen Kampfe gegen die Franzosen. Derselbe
versprach, auch er wolle nicht eher die Waffen niederlegen, bis Preußen
und Deutschland wieder frei seien. Am 17. März erließ Friedrich
Wilhelm den Aufruf: „An mein Volk." Gewaltig war die Wirkung
seiner Worte. Das ganze Volk erhob sich zum Kampf auf Tod und
Leben. Der Wahlspruch, mit dem das Heer auszog, lautete: Mit
Gott für König und Vaterland. Ein jeder Landwehrmann trug an
seiner Mütze ein Kreuz, auf dem dieser Spruch stand. Als Ehren-
zeichen für die Tapfern dieses Krieges hatte der König am 10. März,
dem Geburtstag der bereits am 19. Juli 1810 vor Kummer ge¬
storbenen Königin Luise, den Orden des Eisernen Kreuzes gestiftet.
e. Die Vaterlandsliebe des preußischen Volkes. Das
war in Preußen eine herrliche Zeit, wie sie nie zuvor dagewesen war.
Die schweren Jahre hatten Gottesfurcht und Glauben, Königstreue und
Vaterlandsliebe wieder wachgerufen; das kam jetzt an den Tag. Be-
geisterte Männer, wie Ernst Moritz Arndt, Theodor Körner und Max
von Schenkendorf dichteten dazumal herrliche Freiheits- und Vater-
landslieder. Diese gingen von Mund zu Munde, wurden gesungen
daheim und im Felde. Jeder wollte etwas zur Rettung des Vater-
landes thun, und wer nicht mitziehen konnte, der gab doch, was er
hatte, damit die Ausziehenden keinen Mangel litten. Preußen war
ein großes Waffenlager geworden. Was aber noch besser war, viele
hatten in der Notzeit erkennen gelernt, daß aller Segen, auch im
Kriege, von oben kommt.
2. Der Sfurm 6ricfif los.
a. Lützen und Bautzen. Napoleon erschien bald mit einem
neuen, großen Heere in der Mitte Deutschlands. Es waren nicht nur
Franzosen, sondern auch Italiener, Spanier u. a. Auch die Rhein-
bundssürsten mußten wieder viele Mannschaften stellen. Im Mai be-
gann der große Krieg. Das vereinigte Heer der Preußen und Russen
stieß zuerst bei Lützen auf die Franzosen. Napoleon siegte, aber die
Preußen fühlten sich nicht überwunden. Sie zogen sich in guter
Ordnung zurück. Doch hatten sie einen unersetzlichen Verlust zu be-
klagen: der edle Scharnhorst wurde tödlich verwundet und starb bald
darauf zu Prag. Bei Bautzen erwarteten die Verbündeten abermals
den Feind. Dort entspann sich ein entsetzlicher Kampf. Wiederum
siegte Napoleon, aber nicht eine Fahne, nicht eine Kanone, nicht ein
Gefangener fiel in seine Hände. „Wie, nach solchen Schlächtereien kein