Full text: Lesebuch für deutsche Volksschulen

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Tisch und füllte zwei Näpfe aus einer Schüssel, in den einen die 
Brühe, in den andern das ausgekochte Gemüse; dann rief er den 
Hund, der zu seinen Füßen auf der Erde lag, und setzte vorsichtig 
das Schüsselchen mit dem Dicken zu Boden. 
Der Karo aber, der ihn traurig ansah, wandte die Schnauze zur 
Seite. Als der Alte nun erlauscht hatte, daß der Hund nicht fraß, 
sagte er besorgt: „Was gibt's denn, Karo?" — und dann tauschte 
er die Schüsselchen um. Aber der Karo mochte auch die gute Brühe 
nicht fressen, sondern kroch nur näher zu seinem Herrn heran und 
leckte langsam und schwerfällig dessen Schuhe. Der alte Mann aber 
tastete nach des Hundes Schnauze, und als er die heiße Nase und 
trockene Zunge fühlte, mochte er auch nicht essen, sondern schob alles 
fort. Dann stand er vorsichtig auf und ging, mit den Händen fühlend, 
nach dem Bett in der Ecke, und der Hund kroch langsam hinterher. 
Dort nahm der Alte die Decke herab, legte sie auf die Diele nieder 
und sagte dann: „Komm, Karo, leg' dich hier!" Und seine Stimme 
war voll Angst und Sorge. Der Hund sah auch recht dankbar aus 
und wedelte ein wenig; als aber der Alte zur Bank zurückschlich, 
kroch der Karo wieder hinter ihm her und blieb zu seinen Füßen 
liegen. 
Wie die Hannabeln sie so beieinander sah, den Mann in seiner 
hilflosen Traurigkeit und das Tier so ergeben, schüttelte sie den Kopf 
und sagte: „Nein, so ein Hund ist doch auch eine Kreatur!" (Womit 
sie meinte: eine liebenswerte.) — „Und wenn ein Tier daran soll 
im Dorf, so wäre es höchstens Lehrers graue Katze." 
„Tut, was Euch gut dünkt," erwiderte der Uhrmacher, „ich kann's 
nicht ändern. Indessen ist es morgen nacht das letzte Mal, daß Ihr 
zu der Uhr hinein dürst, ohne von der Eisentür erschlagen zu werden. 
Darum rat' ich Euch, besinnt Euch vorher und geht lieber morgen 
einmal zu dem Lehrer hinein und seht, wie es dort zugeht." Die 
Hannabeln versprach ihm dies und ging nachdenklich davon. 
Den nächsten Morgen, nachdem sie in ihrem Häuschen geräumt 
und gesäubert hatte, kramte sie in ihrer großen blauen Truhe und 
suchte zwischen dem Steinklee, der dort gegen die Motten aufge¬ 
schichtet lag, ein Paar große, gestickte Hausschuhe hervor; die hatte 
sie ihrem verstorbenen Mann kurz vor der Hochzeit geschenkt, danach 
aber nicht erlaubt zu tragen. Auf jedem Schuh waren zwei bunte 
Tulpen, und die Farben noch sehr wohl erhalten. Die Frau strich 
mit der Hand über die Schuhe und sagte entschuldigend: „Der Alte 
wird ja nicht im Schmutze damit einherlaufen, wie's der Selige doch
	        
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