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12. Und kühn in Gottes Namen sprang
er in den nächsten Fischerkahn, ■
trotz Wirbel, Sturm und Wogendrang
kam der Erretter glücklich an.
5 Doch wehe! Der Nachen war allzu klein,
um Retter von allen zugleich zu sein.
13. Und dreimal zwang er seinen Kahn
trotz Wirbel, Sturm und Wogendrang,
und dreimal kam er glücklich an,
10 bis ihm die Rettung ganz gelang.
Kaum kamen die letzten in sichern Port,
so rollte das letzte Getrümmer fort.
14. „Hier," rief der Graf, „mein wackrer Freund!
Hier ist dein Preis! Komm her! Nimm hin!" —
15 Sag an, war das nicht brav gemeint?
Bei Gott! Der Graf trug hohen Sinn;
doch hoher und himmlischer, wahrlich, schlug
das Herz, das der Bauer im Kittel trug.
15. „Mein Leben ist für Gold nicht feil,
20 arm bin ich zwar, doch esst ich satt.
Dem Zöllner werd' Eu'r Gold zuteil,
der Hab und Gut verloren hat!"
So rief er mit herzlichem Biederton
und wandte den Rücken und ging davon. —
25 Bürger, Gedichte. (Gekürzt.)
84. <§chlckslll UNd Änkkll. Bon Johann Wolfgang von Goethe.
/^ab' ich den Markt und die Straßen doch nie so einsam gesehen!
jfj Ist doch die Stadt wie gekehrt, wie ausgestorben! Nicht fünfzig,
deucht mir, blieben zurück von allen unsern Bewohnern.
30 Was die Neugier nicht tut! So rennt und läuft nun ein jeder,
um den traurigen Zug der armen Vertriebnen zu sehen.
Bis zum Dammweg, welchen sie ziehn, ist's immer ein Stündchen,
und da läuft man hinab im heißen Staube des Mittags.
Möcht' ich mich doch nicht rühren vom Platz, um zu sehen das Elend
35 guter stiehender Menschen, die nun mit geretteter Habe
leider das überrheinische Land, das schöne, verlassend,
zu uns herüber kommen und durch den glücklichen Winkel
dieses fruchtbaren Tals und seiner Krümmungen wandern.
Trefflich hast du gehandelt, o Frau, daß du milde den Sohn fort
40 schicktest mit altein Linnen und etwas Essen und Trinken,
um es den Armen zu spenden; denn Geben ist Sache des Reichen.