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wurde von späteren Geschlechtern vernachlässigt, so daß es bald in sich
selbst verfiel. Schon schien der Gedanke an die Verbindung der beiden
Meere für immer vergessen zu sein, als Napoleon I. während seines
ägyptischen Feldzugs den Plan aufs neue ins Auge faßte und die not-
5 wendigen Vorarbeiten ausführen ließ. Unter den Stürmen der Zeit jedoch
konnte das Friedenswerk nicht gedeihen; aber in Vergessenheit geriet es
seitdem nicht mehr. Der Mann, der das unsterbliche Verdienst sich er¬
worben hat, den großen Gedanken richtig erfaßt und ausgeführt zu haben,
war der Franzose Ferdinand Lesseps. Nachdem er im Jahre 1831 zu-
10 fällig den Bericht über die Durchstechung der Landenge von Suez aus der
napoleonischen Zeit gelesen hatte, ließ ihn der kühne Plan, durch die Ver¬
bindung des Roten und des Mittelländischen Meeres der Schiffahrt neue
Bahnen zu zeigen, nicht mehr zur Ruhe kommen.
Nach langjährigen Unterhandlungen mit dem türkischen Sultan
15 wurde 1859 von dem Mittelländischen Meere her mit der Arbeit begonnen
und der Hafenplatz Port Said gegründet. Die Hindernisse, die sich dem
Unternehmen in der trostlosen Gegend in den Weg stellten, vermag nur
der in vollem Umfang zu würdigen, der selbst in der Wüste unter einem
heißen Himmelsstrich gewesen ist. Alles Material, alle Werkzeuge, Ma-
20 schinen und Kohlen mußte man aus Europa kommen lassen. Da kein
Trinkwasser zur Stelle war, suchte man durch Destilliermaschinen das
Wasser des benachbarten Sees trinkbar zu machen; jedoch deckte das auf
diese Weise gewonnene Wasser nicht den' Bedarf. Man war genötigt,
Nilwasser an Ort und Stelle zu schaffen. Von 1800 Lastkamelen mußten
25 allein 1600 zum täglichen Transport des Trinkwassers für 20—25000
Arbeiter in Anspruch genommen werden. Um diesen Übelstand zu be¬
seitigen, bestrebte man sich vor allem, den Süßwasserkanal vom Nil her¬
nach Suez zu vollenden. 15000 Mann arbeiteten an diesem Werke bei
Tage und während der mondhellen Nächte. Aber die Schwierigkeiten
30 waren damit noch nicht überwunden. Es traten ansteckende Krankheiten
auf, die Cholera brach in Ägypten aus und fand bald ihren Weg nach
der Landenge von Suez. Die einheimischen Arbeiter konnten nicht mehr
verwendet werden, und von den 8000 europäischen Arbeitern waren in
wenigen Wochen 5000 geflohen. Dennoch gelang es der Zähigkeit Lesseps',
35 die Fortsetzung des Werkes zu sichern. Zu Anfang des Jahres 1869 er¬
reichte das Wasser des Mittelmeers das Becken der Bitterseen. Dorthin
wurde auch von Süden, von Suez her, das Wasser geleitet. Hier in den
Bitterseen vollzog sich die Vereinigung der beiden Meere. Eine 160 km
lange Wasserstraße mit einer Tiefe von 8 bis 10 m stellt die Verbindung.
40 her, so daß die größten Seeschiffe gefahrlos durchfahren können.
Gegen Ende des Jahres 1869 fand in Gegenwart vieler europäischer
Fürsten die feierliche Eröffnung des Suezkanales statt. Auch der Kron¬
prinz von Preußen, der nachmalige Kaiser Friedrich III., befand sich unter