J
542
301. Fürst Bismarck.
1. Ein Brief Wilhelms des Großen.
Berlin den 1. April 1885.
^Hein lieber Fürst, wenn sich in dem deutschen Lande und Volke das
5 4J4J v warme Verlangen zeigt, Ihnen bei der Feier Ihres 70. Geburts¬
tages zu betätigen, daß die Erinnerung an alles, was Sie für die Größe
des Vaterlandes getan haben, in so vielen Dankbaren lebt, so ist es mir
ein tiefgefühltes Bedürfnis, Ihnen heute auszusprechen, wie hoch es mich
erfreut, daß solcher Zug des Dankes und der Verehrung für Sie durch
10 die Nation geht. Es freut mich das für Sie als wahrlich im höchsten
Maße verdiente Anerkennung, und es erwärmt mir das Herz, daß solche
Gesinnungen sich in so großer Verbreitung kund tun; denn es ziert
die Nation in der Gegenwart, und es stärkt die Hoffnung auf
ihre Zukunft, wenn sie Erkenntnis für das Wahre und Große
15 zeigt, und wenn sie ihre hochverdienten Männer feiert und
ehrt. An solcher Feier teilzunehmen, ist mir und meinem Hause eine
besondere Freude, und wünschen wir Ihnen, durch beifolgendes Bild
(Kaiser-Verkündigung in Versailles) auszudrücken, mit welchen Empfin¬
dungen dankbarer Erinnerung wir dies tun; denn es vergegenwärtigt
20 einen der größten Augenblicke der Geschichte des Hohenzollernhauses, dessen
niemals gedacht werden kann, ohne sich zugleich auch Ihrer Verdienste zu
erinnern. Sie, mein lieber Fürst, wissen, wie in mir jederzeit das vollste
Vertrauen, die aufrichtigste Zuneigung und das wärmste Dankgefühl für
Sie leben wird. Ihnen sage ich daher mit diesem nichts, was ich Ihnen
25 nicht oft genug ausgesprochen habe, und ich denke, daß dieses Bild noch
Ihren späten Nachkommen vor Augen stellen wird, daß Ihr Kaiser und
König und sein Haus sich dessen wohl bewußt waren, was wir Ihnen zu
danken haben. Mit diesen Gesinnungen und Gefühlen endige ich diese
Zeilen als über das Grab hinaus dauernd Ihr dankbar treu ergebener
30 Kaiser und König Wilhelm.
2. Wir Deutschen fürchten Gott, sonst nichts in der Welt.
Von Viktor Hagen.
Im Anfang des Jahres 1888 schien es, als sollte bald wieder in
blutigem Kampfe um den Sieg gerungen werden. Die Franzosen und Russen
35 hatten sich verbündet. Um die Einrichtung und Stärke des deutschen Heeres
der veränderten Lage anzupassen, war dem deutschen Reichstage ein Gesetz
vorgelegt worden, durch das dieser die einmaligen Ausgaben für die Neu¬
einrichtungen und die Kosten für die Armee und die Marine aus die
nächsten sieben Jahre bewilligen sollte. Fast alle Reichstagsabgeordneten
40 waren am 6. Februar versammelt, um die Vorlage zu beraten. Da trat
Fürst Bismarck in den Saal und hielt eine seiner denkwürdigsten Reden.
Er schilderte den Ernst der Lage und das Verhältnis Deutschlands zu