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gehört als von Kriemhild. Sie war schön, und Siegfried hatte die
Jungfrau von Herzen lieb. Er bat daher Gunther, ihm seine Schwester
zur Gemahlin zu geben. Der König versprach es, wenn Siegfried
ihm helfe, die starke Königin Brunhild von Isenstein zu gewinnen.
Die Hilfe ward mit Freuden zugesagt.
b. Wie Gunther um Brunhild warb.
Ein prächtiges Rheinschiff wurde zur Abfahrt gerüstet. Sieg—
fried führte selbst das Steuer, und König Gunlher und seine stolzen
Heergesellen ruderten so kräftig, daß das Schiff pfeilschnell die Wogen
durchschnitt. Am zwölften Morgen sah man den Isenstein aus dem
Meere auftauchen. Sechsundachtzig hohe Türme zählten die Ritter, und
drei weite Paläste aus grünem Marmor schimmerten am Gestade. In
voller Rüstung, den goldfarbenen Schild in der Linken, hielten die Kühnen
ihren Einzug Siegfried trug die Werbung vor und gab an, daß
König Gunther sein Herr sei. Die Königin Brunhild aber erklärte, nur
der solle sie zur Gemahlin gewinnen, der sie im ritterlichen Kampfspiele
übertreffe; dem Besiegten wolle sie dagegen das Haupt herunter—
schlagen lassen.
Sogleich wurde alles zum Wettkampfe gerüstet. Drei Männer trugen
den ungefügen Ger oder Wurfspieß herbet zwölf andre einen schweren
Marmorblock. Zuerst ergriff Brunhild den Wurfspeer und schoß ihn
mit solcher Kraft auf Gunthers Schild, daß Feuer aus den Ringen
hervorbrach, und Gunther strauchelte. Siegfried stand aber neben Köni
Gunther, und seine starke Hand hielt ihm den Schild. Niemand
jedoch den Helden; denn er trug die Tarnkappe, die ihn unsichtbat
machte. Jetzt warf Siegfried den Speer gegen die Königin so gewaͤltig,
daß sie niederstürzte. Voll Zorn schwang nun Brunhild den schweren
Marmorblock, warf ihn weit von sich und sprang kühn darübet weg.
Siegfried aber warf den Stein noch weiter und sprang über ihn weg,
trotzdem er Gunther mit sich tragen mußte. Der Sieg war somit für
König Gunther gewonnen, und fröhlich fuhren die Recken zurück nach
Worms. Brunhild mußte mitziehen.
c. Wie Kriemhild Siegfrieds Gemahlin wurde.
Gunther hielt sein Versprechen und verlobte Siegfried mit Kriem—
hild. Auf einen Tag feierten unter lautem Juͤbel des Volkes
Kriemhild und Siegfried, Brunhild und Gunther die Doppelhochzeit.
Mit der geliebten Gemahlin zog dann Siegfried heim nach Nieder—
e e übergab der greise Vater Siegmund dem Sohne Krone
und Land.
d. Wie die Königinnen sich stritten.
Zwölf Jahre waren vergangen und das Fest der Sonnenwende
nahte. Da trieb Brunhild König Gunther, daß er die Schwester und
Siegfried zu Hofe lade. Beide und auch der alte Siegmund folgten
gerne der freundlichen Einladung. Voll Huld und Liebe war der Empfang;
aber nur zu bald nahm die Liebe ein Ende, und arges Leid sollte folgen.