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erite Dorf, den ersten Fluß oder Höhenzug des geliebten Vater—
lanbe den ersten Vogel, welcher darüber in den Lüften kreist,
und wie liebliche Musik nach langer Trauer klingt ihm die Unter—
haltung seiner Landsleute. Je näher er dem erstrebten Ziele
kommt, desto lebendiger wird es in seiner Seele; er möchte singen
und jauchzen vor Freude. Sein Auge spähet sehnsuchtsvoll nach
den blauen Bergen der Heimat. Endlich rücken sie näher, sein
Herz klopft in lauteren Schlägen, und bald erglänzt über ge—
segneten Obstbäumen und zwischen dunklen Eichenwipfeln die
Tuͤrmspitze seines Geburtsortes. Nur noch wenige Minuten, und
er ist bei Vater und Mutter, bei Bruder und Schwester, bei
Freunden und Jugendgenossen, bei lauter lieben, alten Bekannten,
die er o lange und schmerzlich entbehrt hat; er fühlt sich über—
glücklich, denn er ist ja wieder in der teuern Heimat.
Du aber, junger Leser, der du das liebe Vaterhaus, die
heimatliche Provinz und das teure Vaterland noch niemals ver—
lassen haͤst, kannst diese Freude nur ahnen. Wie viele Schönhei—
ten und Reize, wie viel Verlockendes andere Länder und Gegenden
auch bieten mogen, es gibt nur eine Heimat, nur eine Mutter—
sprache und nur ein Vaterland. Und sollte dich die Wanderlust
später einmal hinaustreiben in die weite Ferne, dann wirst auch
du erfahren, daß der Dichter recht hat, wenn er sagt:
„Ist's auch schön im fremden Lande,
Doch zur Heimat wird es nie.“
220. Muttersprache.
Max von Schenkendorf.)
1. Muttersprache, Mutterlaut, 3. Sprache, schön und wunderbar,
Wie so wonnesam, so traut! Ach, wie klingest du so klar!
Erstes Wort, das mir erschallet, Will noch mich vertiefen
Süußes, erstes Liebeswort, In den Reichtum, in die Pracht;
Erster Ton, den ich gelallet, Ist mir's doch, als ob mich riefen
Klingest ewig in mir fort. Väter aus des Grabes Nacht.
2. Ah, wie trüb ist meinem Sinn, 4. Klinge, klinge fort und fort,
Wenn ich in der Fremde bin, e e Liebeswort!
Wenn 9 fremde Zungen üben, Steig empor aus tiefen Grüften,
Fremde Worte brauchen muß, Längst verschollnes altes Lied,
Die ich nimmermehr kann lieben, Leb aufs neu' in heil'gen Schriften,
Die nicht klingen als ein Gruß! Daß dir jedes Herz erglüht!
5. überall weht Gottes Hauch,
guis ist wohl mancher Brauch
ber soll ich beten, danken,
Geb' ich meine Liebe kund,
Meine seligsten Gedanken, —
Sprech' ich wie der Mutter Mund