Full text: Lesebuch für die Oberklassen katholischer Volksschulen

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gen!“ vernahm sein scharfes Ohr in der Ferne ein Geräusch 
und, statt zu lesen, rief er, als wüßte er selber nicht, was er 
thäte: „Feinde, Feinde am Thor!“ Der Lehrer schlug den Kna— 
ben um seiner vermeintlichen Unachtsamkeit willen uünd befahl 
ihm, nun zu lesen; aber wiederum schrie der Knabe: „Feinde, 
Feinde auf »r Mauer!“ Wiederum ward er gestraft, und 
ernstlich angrhalten, nun zu lesen, da rief er wieder: „Feinde, 
Feinde auf dem Markt!“ Und plötzlich erscholl von allen Sei— 
ten das Jammergeschrei, und bald loderten die Flammen hoch 
auf und strahlten in die Kirche hinein. Da blieben von den 
Menschen wenige übrig und von den Wohnungen keine. 
Hierauf schweiften die Normannen weiter durch den Ardennen⸗ 
wald und kamen am Tage Epiphaniä 882 nach dem Kloster 
Prüm in der Eifel, in welchem einst der Kaiser Lothar als 
Mönch gestorben war. Dort verweilten sie drei Tage und zün— 
deten wiederum alle Wohnungen in der Umgegend an, daß die 
Flamme weit hinausleuchtiete in das Land. Da raffte sich nun 
ein unzähliger Haufe Volkes zusammen von den Dörfern und 
Weilern jener Gegend, um sich der grausamen Feinde zu er— 
wehren; aber dieser Haufe hatte nicht nur keine zulänglichen 
Waffen und keine Reiterei, sondern war auch ohne rechten An— 
führer und ohne Ordnung. Als das die Normaͤnnen bemerkten, 
fielen sie mit lautem Geschrei her über das arme Volk und 
n ihrer eine solche Menge nieder, daß es schien, als 
schlachteten sie unvernünftige, wehrlose Tiere und nicht Menschen. 
Darauf kehrten sie beladen mit Beute zu ihrem Lager zurück. 
Als sie fortzogen, ließen sie das Feuer auf dem Herde im 
Kloster fortbrennen, und da niemand es auslöschte, griff es 
weiter und legte das ganze Kloster Prüm in Asche. Das 
Hauptlager der Normannen war in Haslou nahe an der Maas, 
und wenn sie dorthin ihre Beute gebracht und zusammengelegt 
hatten, zogen sie aufs neue wieder aus. So geschah es auch 
diesmal. Am Gründonnerstage, den 5. April 888, kamen sie 
nach Trier. Bis zum Osterfeste stärkten sie da die vom Marsche 
ermüdeten Glieder, am Ostersonntag aber begannen sie zu plün— 
dern und zu brennen, und bald lag die ganze Stadt in Schutt 
und Trümmern. Der Erzbischof Walla konnte den Jaminer 
nicht länger ansehen, er rief alle Landleute jener Gegend zu den 
Waffen, und der Bischof Bertolf und der Graf Andalhard stan⸗ 
den ihm getreulich bei. So kam es zum blutigen Kampfe; aber 
wiederum siegten die Normannen; Erzbischof Walla selber fiel, 
und nur wenige retteten ihr Leben durch schleunige Flucht. Die 
Normannen zogen triumphierend mit großer Beute ins Lager 
zu Haslou zurück. 
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