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z. Komm in die Häuser; durchlüfte, was dumpfig und düster;
sammle am friedlichen Tisch die entzweiten Geschwister;
linde und leis
geh durch den häuslichen Kreis,
sanft wie mit Engelsgeflüster!
6. Keomm in die Kammer des bleichen verlassenen Kranken;
säusl' ihm durchs Fenster, das blühende Reben umranken;
sprich ihm ins Herz,
himmlischer Tröster im Schmerz,
göttliche Friedensgedanken!
z. Weh' um des Sterbenden Stirne mit kühlenden Palmen;
öffn' ihm den Blick nach der Ewigkeit sonnigen Almen;
flüstr' ihm ins Ohr
Töne vom oberen Chor,
Klänge von himmlischen Psalmen! Karl Gerok. (Gekürzt.)
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92. Einmal ist Keinmal.
Dies ist das erlogenste und schlimmste unter allen Sprichwörtern, und
wer es gemacht hat, der war ein schlechter Rechenmeister oder ein boshafter.
Einmal ist wenigstens einmal, und davon lätt sich nichts abmarkten. Wer
einmal gestohlen hat, der kann sein Leben lang nimmer mit Wahrheit und
mit frohem Herzen sagen: „Gottlobl ich habe mich nie an fremdem CGute
vergriffen.“ Und wenn der Dieb erhascht und gehängt wird, alsdann ist
einmal nicht keinmal. Aber das ist noch nicht alles, sondern man kann
meistens und mit Wahrheit sagen: Einmal ist zehnmal und hundert- und
tausendmal. Denn wer das Böse einmal angefangen hat, der setzt es ge-
meiniglich auch fort. Wer A gesagt hat. der sagt auch gern B, und alsdann
tritt zuletzt ein andres Sprichwort ein: Der Krug geht so lange zum Brunnen,
bis er bricht. Johann Peter Hebel. (Sehatzkästlein des Rheinischen Hausfreundes.
93. Der Hluch des Bösen.
I. Es war im Hafen von Hamburg. Ein grober Dampfer rüstete
zur Abfahrt. Dem gewaltigen Schornstein entströmte dichter Qualm;
das Schiff zitterte leise wie ein edler Renner, der dem Zwange der Zügel
entrinnen und dahinstürmen möchte. Auf dem Verdeck standen die
Passagiere Kopf an Kopf und schauten landeinwärts. Welehe Mannig-
faltigxeit von Gefühlen im Gewirre der Gesichter! Hier Langeweile
und Gleichgültigkeit, dort Staunen und Bewunderung; hier EFreudighkeit,