Full text: Für die mittleren (bezw. oberen) Klassen (Band 2, [Schülerband])

173. Das Haus in der Heide. — 174. Abseits. 
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173. Das Haus in der Heide. 
Von Annette, Freiin v. Droste-Hülfshof. 
Gedickte. Stuttgart und Tübingen 1844. S. 77. 
1. Wie lauscht, vom Abendschein umzuckt, 
die strohgedeckte Hütte — 
recht wie im Nest der Vogel duckt — 
aus dunkler Föhren Mitte! 
2. Am Fensterloche streckt das Haupt 
die weißgestirnte Stärke 1)l 
bläst in den Abendduft und schnaubt 
und stoßt ans Holzgewerke. 
3. Seitab ein Gärtchen, dornumhegt, 
mit reinlichem Gelände, 
wo matt ihr Haupt die Glocke^) trügt, 
aufrecht die Sonnenwende^). 
4. Und drinnen kniet ein stilles Kind, 
das scheint den Grund zu jäten; 
nun pfliickt sie eine Lilie lind 
und wandelt längs den Beeten. 
5 Am Horizonte Hirten, die 
im Heidekraut sich strecken 
und mit des Aves Melodie 
träumende Lüfte wecken. 
0. Und von der Tenne ab und an 
schallt es wie Hammerschläge; 
der Hobel rauscht, es fällt der Span, 
und langsam knarrt die Säge. 
7. Da hebt der Abendstern gemach 
sich aus den Föhrenzweigen, 
und grade ob der Hütte Dach 
scheint er sich nüld zu neigen. 
8. Es ist ein Bild, wie still und heiß 
es alte Meister hegten, 
kunstvolle Mönche, und mit Fleiß 
es auf den Goldgrund legten. 
9. Der Zimmermann — die Hirten gleich 
mit ihrem frommen Liede — 
! die Jungfrau mit dem Lilienzweig — 
j und rings der Gottesfriede. 
10. Des Sternes wunderlich Geleucht 
i aus zarten Wolkenfloren, — 
ist etwa hier im Stall vielleicht 
Christkindlein heut geboren? 
174. Abseits. 
Von Theodor Storni. 
Sommergeschichten und Lieder. Berlin 1851. S. 14. 
1. Es ist so still! Die Heide liegt 
im warmen Mittagssounenstrahle; 
ein rosenrother Schimmer fliegt 
um ihre alten Gräbermale! 
Die Kräuter blühn; der Heidedust 
steigt in die blaue Svmmerluft. 
2. Laufkäfer hasten durchs Gesträuch 
in ihren goldnen Panzerröckchen; 
die Bienen hängen Zweig um Zweig 
sich an der Edelheide Glöckchen; 
die Vögel schwirren aus dem Kraut — 
die Luft ist voller Lcrchenlaut. 
3. Ein halbverfallen niedrig Haus 
steht einsam hier und sonnbeschienen; 
der Käthnel*) lehnt zur Thür hinaus, 
behaglich blinzelnd nach den Bienen; 
sein Junge auf dem Stein davor 
schnitzt Pfeifen sich aus Külberrohr°). 
4. Kaum zittert durch die Mittagsruhe 
ein Schlag der Dorfuhr, der entfernten; 
dem Alten fällt die Winiper zu, 
er träumt von seinen Honigernten. — 
Kein Klang der aufgeregten Zeit 
drang noch in diese Einsamkeit. 
1) — Kalbin, junge Kuh. 2) — Glockenblume. 3) Blume (Heliotrop). 4) — Giitler. 
5) Pflanze.
	        
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