Full text: Lesebuch für die Oberklassen katholischer Volksschulen

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Alle, die zugegen waren, waren ergriffen von dem 
feierlichen Ernst der Handlung; nur in den Gesichtern 
der beiden Grafen malte sich eine große Bestürzung. Be¬ 
sonders Platen war fassungslos; die schwerste Anklage, 
die man gegen die Prinzessin vorgebracht, war entkrästigt, 
ihre Unschuld in diesem Punkte schien erwiesen. Nach 
einem stillen Gebete verließen alle nach und nach das 
Zimmer; als aber Platen sich entfernen wollte, rief die 
Prinzessin ihm nach: „Graf Platen, ersuchen Sie nun 
auch Ihr Weib, auf gleiche Weise ihre Unschuld zu be¬ 
weisen, wie ich es gethan habe!" 
Diese Worte vermehrten die Unruhe des Grafen; 
sie waren von allen Anwesenden gehört worden und schienen 
ihnen nun ein neuer Beweis für die völlige Schuld¬ 
losigkeit der Prinzessin. Es konnte nicht fehlen, daß auch 
dem Kurfürsten dieselben zu Ohren kamen; und wenn 
auch er, woran gar nicht zu zweifeln war, den Beweis 
gelten ließ, so war vielleicht gar eine Zurückberufung der 
vom Hose verbannten Prinzessin nicht ausgeschlossen. 
Was das aber für ihn, den Grafen, und ganz besonders 
für seine Gemahlin bedeutete, darüber konnte er sich 
keinem Zweifel hingeben. Mußte doch alsdann nach dem 
Tode des Kurfürsten Sophie Dorothea Kurfürstin werden, 
und hatte sie dann doch die Macht, alle diejenigen ihre 
Rache fühlen zu lassen, die ihr jetzt entgegenstanden! 
Also mußte er, um seiner eigenen Sicherheit willen, ver¬ 
hüten, daß eine Versöhnung zustande kam; er mußte es 
verhüten um jeden Preis! Die beste Ratgeberin in dieser 
schwierigen Frage schien ihm seine kluge, ränkesüchtige 
Frau zu sein; ihr legte er deshalb anch die Sache vor. 
Mit verhaltener Wut hörte die Gräfin den Bericht ihres 
Gemahls, unb besonders die letzten Worte der Prinzessin 
erregten ihren ganzen Grimm. „Wohl", sagte sie nach 
einigen Besinnen, „lassen wir diesen Punkt der Anklage 
fallen; es giebt aber außerdem Gründe genug, eine 
Rückkehr der Jungfer d'Esmiers an unfern Hof zu ver¬ 
hindern. Wir thun klug, wenn wir scheinbar einer Ver¬ 
söhnung des Kurfürsten und bes Kurprinzen mit ber-
	        
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